Mögliche Gründe für das Chan Yunis Massaker

Die israelische Regierung eskaliert weiter, genauer gesagt Netanjahu und die fanatischen Elemente in seiner Regierung. Mehr als 90 Palästinenser hat die IDF gestern in al-Mawasi, einem Gebiet in der Nähe von Chan Junis, ermordet. Ohne Warnung schossen F16 Kampfflugzeuge mindestens neun Raketen auf das Flüchtlingslager. Dieses Gebiet erklärte die IDF noch einige Tage vorher zur „humanitären Zone“.

Das offizielle Motiv war, zwei Personen hinzurichten: Mohammad Deif, den Führer der Al Kassem Brigaden, und Rafa Salama, den Kommandeur der Hamas-Brigade. Aber waren dies die wirklichen Gründe des Angriffes? Oder ging es der IDF wieder einmal darum, Angst und Schrecken zu verbreiten, das Leben für die dort vegetierenden Menschen unerträglich zu machen?

Einen weiteren möglichen Grund für diese Massaker hatte vor einigen Monaten die schweizerische Menschenrechtsorganisation Euro-Med Monitor aufgedeckt. Sie fanden Hinweise dafür, dass Israel Organe getöteter Palästinenser entnimmt und diese auf dem Schwarzen Markt verkauft. Denn es sei eine Praxis der IDF, die Leichname vieler getöteter Palästinenser zurückzuhalten und in Gräbern mit Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt zu deponieren. Bei zahlreichen der von Ärzten untersuchten Körper fehlten Cochleas (Gehörschnecken) und Hornhäute sowie andere lebenswichtige Organe wie Leber, Nieren und Herz.

Die israelische Taktik vom 13. Juli 2024 erinnert an eine schon früher von ai beschriebene. Nach Untersuchungen von Amnesty International liegen nicht nur umfassende Hinweise vor, dass Israel während der Operation Cast Lead in den Jahren 2008 und 2009 Menschen aus dem Gazastreifen als menschliche Schutzschilde missbrauchte. Eine besonders perfide israelische Strategie bestand außerdem darin, Häuser von palästinensischen Zivilisten zu beschießen und dann darauf zu warten, dass die Bewohner den Rettungsdienst rufen. War der Krankenwagen eingetroffen, so nahmen ihn israelische Soldaten mit Raketen oder Artilleriefeuer unter Beschuss.

Agiert das israelische Regime rational?

Das israelische Kalkül für eine Eskalation ist irrational in Bezug auf diejenigen, für die die Regierung verantwortlich ist, also für die israelische Bevölkerung. Nur eine komplette „ethnische Säuberung“ des Gaza-Streifens und des Westjordanlandes, die Vernichtung aller palästinensischen Widerstandsgruppen sowie das Brechen des palästinensischen Widerstandswillens könnte den israelischen Anrainern vorübergehend Sicherheit geben.

Doch die Terrorisierung der palästinensischen Bevölkerung, wie nun in der Nähe von Chan Yunis geschehen, wird deren Widerstandswillen nicht brechen, sondern stärken. Nur wenige israelische Geiseln sind bisher durch die Strategie des israelischen „Kriegskabinetts“ freigekommen, viele fielen den israelischen Angriffen in Gaza als ungewollte oder gewollte „Kolleteralschäden“ zum Opfer, einige wurden sogar unmittelbar von der IDF erschossen. Zudem vernachlässigt diese Kalkulation die, wenn auch nicht sehr weite, doch teilweise erhebliche Solidarität der arabischen und muslimischen Bevölkerung in den israelischen Nachbarstaaten. Iran versichert, wie zuletzt der neugewählte iranische Präsident Masoud Pezeshkian, seine Unterstützung für Hisbollah. Daher würde eine Auseinandersetzung mit Hisbollah im Norden des Landes, die auf das ganze Land übergreifen und außerdem die iranischen Streitkräfte mobilisieren kann, auch im Landesinneren mit Verwüstungen und hohen Verlusten einhergehen.

Diese Strategie scheint aber rational zu sein für die Sache des radikalen Zionismus, der sein Ziel in der ethnischen Säuberung eines Großraumes Israel sieht. Dabei heiligt der Zweck offenbar jedes Mittel, auch wenn damit die israelische „Zivilbevölkerung“ (es besteht allgemeine Wehrpflicht in Israel, ausgenommen sind Ultraorthodoxe und arabische Israelis) in Mitleidenschaft gezogen würde. Die USA und maßgebliche westliche Staaten werden, wie der Politikwissenschaftler John Mearsheimer in mehreren Veröffentlichungen und Interviews zu Bedenken gibt (z.B. hier), an der Seite Israels stehen, auch wenn Israel nicht im Sinne der USA agieren sollte. Die Israel-Lobby sei sehr mächtig, so Mearsheimer. Kein Politiker könne gegen sie regieren. So würde Benjamin Netanjahu und die Hardliner in seinem Kabinett einen Krieg mit Hisbollah befürworten, auch wenn dabei weite Teile Israels zerstört würden. Am Ende, so ihre Kalkulation, wenn die „leicht manipulierbaren USA“ in den Konflikt eingreifen, könnte Hisbollah vernichtet werden.

Netanjahu gehörte zu den Kriegstreibern gegen den Irak

Diese Kalkulation ist, wie bereits erwähnt, ohne den Iran gemacht. Denn dieser hat öfter verlautbart, dass er nicht tatenlos zusehen wird, wenn die IDF im Libanon einmarschiert. Doch ein größerer regionaler Krieg wäre unter bestimmten Bedingungen im Sinne Netanjahus. Auf diese Weise könnte er sich noch länger im Amt halten und der Erzfeind Iran könnte erheblich geschwächt werden. Damit würde allerdings auch das Risiko eines Eingriffes von Russland und China einhergehen.

Netanjahu akzeptiert keine staatlichen Strukturen im Umfeld Israels. Er gehörte in den Jahren 2001-2003 zu denjenigen, die in den USA sich für einen Krieg gegen den Irak einsetzten. Ein solcher Krieg verhindere, so behauptete er damals, dass der nach Nuklearwaffen strebende Irak in den Besitz dieser Waffen gerate. Nach einem solchen Krieg, so Netanjahu weiter, werde vieles besser für Israel und die Region demokratischer. Doch während die Verhältnisse unter Saddam Hussein für Israel stabil und berechenbar waren, sendet nun eine aus dem Jemen, dem Libanon und dem Irak operierende Widerstandsbewegung regelmäßig Raketen nach Israel, was vor dem Jahre 2003 noch undenkbar gewesen wäre.


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