Die Attacke auf das Al-Ahli Arab Krankenhaus war kein Einzelfall

Am 17. Oktober 2023 erschütterten Explosionen das von der anglikanischen Kirche verwaltete Ahli Arab Krankenhaus im Osten von Gaza Stadt. Dabei kamen Hunderte ums Leben, mehr als 600 Personen wurden verletzt. Vertreter der israelischen Streitkräfte (IDF) bestreiten, dass die IDF das Krankenhaus am 17. Oktober beschossen habe. Doch vieles deutet daraufhin, dass es die israelischen Streitkräfte waren. Es wäre nicht das erste Mal, dass israelische Generäle und Politiker die Unwahrheit sagen. Im Folgenden möchte ich diese Behauptung mit einigen Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit stützen und am Ende des Beitrages noch einmal auf die Frage zurückkommen, wer verantwortlich für den Beschuss des Krankenhauses war.

Der Sprecher der IDF, Flotillenadmiral Daniel Hagari, behauptet am 18. Oktober Raketen der Hamas haben die tödliche Explosion im Al-Ahli Krankenhaus in Gaza verursacht.

Ramallah

Im März 2002 fallen 30 Israelis einem Selbstmordattentat eines Palästinensers im Park Hotel in Netanya zum Opfer. Netanya liegt an der Küste Israels auf Höhe der West-Bank. Israel verkündet daraufhin die Infrastruktur des Terrors zerstören zu wollen. Doch die IDF zerstören das Hauptquartier der Palästinensischen Selbstverwaltung in Ramallah in der West-Bank, die Gebäude des Gesundheitsministeriums, des Erziehungsministeriums, des palästinensischen Büros für Statistik, Schulen und zahlreiche weitere zivile Einrichtungen. Ebenso attackieren sie palästinensische Sicherheitskräfte und Polizisten, die nichts mit dem Attentat zu tun haben. Der Journalist John Pilger schrieb über die sogenannte Operation „Defense Shield“: „Weit davon entfernt die Infrastruktur des Terrors zu zerstören, lag das Ziel klar darin, die Infrastruktur einer organisierten Gesellschaft zu zerstören.“ 1

Entsorgung einer pro-palästinensischen Aktivistin mit einem Bulldozer

Im Jahre 2003 überrollten israelische Militär-Bulldozer die amerikanisch pro-palästinensische Aktivistin Rachel Corrie. Das konnten mehrere Augenzeugen bestätigen. Doch die israelische Armee behauptete, sie sei „wahrscheinlich durch eine Betonplatte“ ums Leben gekommen.

Israels problematisches Verhältnis zu UN-Einrichtungen

Im Krieg gegen den Libanon griff Israel im Juli 2006 trotz Warnungen des Kommandeurs der UNFIL2, Alain Pellegrini, einen deutlich gekennzeichneten UN-Beobachter-Posten an. Dabei kamen mindestens zwei UN-Beobachter ums Leben. „Es war keine Absicht“, hieß es aus israelischen Militärkreisen.

Israels Kampagne gegen den Gaza Streifen 2008/2009

Am 13. Januar 2009 schrieb ich über die israelische Operation „Cast lead“ (gegossenes Blei), den Beschuss des Gaza-Streifens und den Einmarsch israelischer Streitkräfte in den Gaza Streifen ab dem 27. Dezember 2008. Damals behaupteten israelische Militärs ebenfalls, man wolle Zivilisten schonen und nur die Kämpfer der Hamas vernichten. Doch bereits die Blockade des Gaza-Streifens verurteilte der ehemalige amerikanische Präsident Jimmy Carter damals als ein Kriegsverbrechen (Reuters, 18.4.2008).

Amnesty International berichtete nach der „Operation gegossenes Blei“, die israelische Armee habe sowohl mit sogenannten Präzisionswaffen als auch mit Streumunition viele Zivilisten getötet. „The Israeli army has put the death toll at 1200 and maintains that most of those killed were not civilians but it has failed to provide any lists or any information indicating on what they base their figures“ heißt es im Bericht von Amnesty International. HRW stellt hier Erkenntnisse über den mutmaßlichen Beschuss von Zivilisten durch die israelische Armee während der „Operation gegossenes Blei“ zusammen, und die Menschenrechtsorganisation listet hier zahlreiche Fälle der illegalen Zerstörung privaten Eigentums durch die israelische Armee auf.

Der Goldstone Report

Nach dem Gaza-Krieg ernannte der UN-Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine Untersuchungskommission über den Gaza-Krieg unter Federführung des südafrikanischen Richters Richard Goldstone. Laut den Ergebnissen der UN-Untersuchungskommission, dem sogenannten Goldstone-Report , verübten israelische Streitkräfte zahlreiche Angriffe auf zivile Einrichtungen, so auch auf das Al-Quds Krankenhaus und das al Wafa Krankenhaus. Am 15. Januar 2009 wurde das Al-Quads Krankenhaus mit weißem Phosphor beschossen und fast vollständig zerstört. Nach Aussagen der Ärzte verschanzten sich keine Kämpfer in diesem Krankenhaus.

Untergebracht waren im al Wafa-Krankenhaus vor allem pflegebedürftige Personen mit schweren Verletzungen. Am 16. April 2008 schossen Panzer auf das Krankenhaus – also bereits einige Monate vor Beginn der Aktion „Gegossenes Blei“. Wiederum gab das Krankenhauspersonal zu verstehen, dass zu diesem Zeitpunkt keine bewaffneten Personen im Krankenhaus waren.

Später erhielten Angestellte des Krankenhauses fast täglich Warnungen, die aber keinen bevorstehenden Angriff ankündigten. Am 15. Januar 2009 wurde das Krankenhaus durch intensives Artillerie-Feuer beschossen. Zur verwendeten Munition gehörten auch Geschosse mit weißem Phosphor, der das Dach des Krankenhauses abbrennen ließ. Am 16. Januar war das Krankenhaus erneut Opfer eines israelischen Artillerie-Angriffes. Dieser zerstörte das Gebäude, in dem die älteren Personen untergebracht waren, sowie den dritten und vierten Stock des Zentralgebäudes. Die Ärzte gingen davon aus, dass die Panzer sich etwa 70 Meter vom Krankenhaus befanden. Sie schätzten den entstandenen Schaden auf 550.000 US Dollar.

Am 2. Februar 2009 erschossen israelische Scharfschützen zwei Krankenschwestern des Wafa-Krankenhauses.

Zusammenfassend hält der Report in Bezug auf die Attacken auf das Krankenhaus auf Seite 149 fest: „As such the Mission considers that, from all the information available to it, the Israeli armed forces violated articles 18 and 19 of the Fourth Geneva Convention as well as customary international law as reflected in Additional Protocol I, articles 57 (2) (b) and (c).

Der Goldstone-Bericht beschreibt verschiedene Vergehen der israelischen Armee während der Operation „Vergossenes Blei“ im Gaza-Streifen: Auf über 10 Seiten schildert er detailliert das Töten von Zivilisten auf der Flucht zu sicheren Gebieten, weiterhin zeigt er die Vernichtung von Abwassereinrichtungen und Kläranlagen durch israelische Streitkräfte sowie die „großflächige Zerstörung von wirtschaftlichen und infrastrukturellen Zielen“.

Damals wie heute hören wir immer wieder von israelischen Generälen, dass man alles tue, um Zivilisten zu schonen. Doch die dann folgenden Taten belegen das Gegenteil. Denn zum einen ist es nicht möglich, in einer dicht besiedelten Gegend einzelne Ziele auszumachen und dabei nur gegnerische Kämpfer zu töten ohne dabei auch gleichzeitig hohe zivile Verluste zu verursachen. Zum anderen sind Zivilisten bewusst gewählte Zielscheiben solcher Angriffe wie Amnesty International, HRW oder der Goldstone Bericht zeigen.

Israelische Sicherheitskräfte erschießen Aktivisten auf hoher See

Seit dem Jahre 2007 knebelt die von Israel und Ägypten verhängte Blockade die Einwohner des Gaza-Streifens. Im Mai 2010 machte sich die Mavi Marmara, ein türkisches Kreuzfahrt-Schiff auf den Weg nach Gaza. Es hatte Hilfsgüter geladen, darunter Baumaterialien, Schulbücher und auch Medizin. Doch 130 Kilometer von der israelischen Küste – in internationalen Gewässern – erstürmten israelische Sicherheitskräfte das türkische Schiff. Sie töteten dabei 9 Menschen und verletzten mehrere Dutzend Aktivisten. Man habe nur aus Notwehr gehandelt, lautete die fadenscheinige Begründung. Damals berichtete ich darüber, insbesondere über die Reaktion der Türkei.

Entledigung einer unliebsamen Journalistin

Im Jahre 2022 erschossen israelische Soldaten, die amerikanisch palästinensische Journalistin Shireen Abu Akleh. Darüber informierte ausführlich das Time-Magazin. Sie arbeitete für Al Jazeera und berichtete zu diesem Zeitpunkt über israelische Attacken auf das Flüchtlingslager Jenin.

Israeli military says militant’s rocket caused the deadly explosion at Gaza’s al-Ahli Hospital.

„Die israelische Luftwaffe attackierte einen terroristischen Stützpunkt in einem Krankenhaus in Gaza. Eine große Zahl von Terroristen sind tot. Es ist herzzereißend, dass HAMAS Raketen von Krankenhäusern, Moscheen und Schulen abfeuert und dabei Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt.“

Tweet des Beraters des israelischen Premierministers für soziale Medien, Hananya Naftali am 17. Oktober um 20.23 Uhr

Wie sind nun die Behauptungen der IDF zu bewerten, dass sie das Al Ahli Krankenhaus am 17. Oktober nicht beschossen habe? Selbst wenn man unterstellen würde, dass auf dem Krankenhausgelände eine Hamas-Rakete aufgrund einer Fehlzündung explodierte, könnte man, da Israel Hamas ursprünglich im Gazastreifen als Gegengewicht zur PLO aufbaute und dort weiterhin unterstützte, die Frage stellen: Wer war für die Fehlzündung verantwortlich?

„They can’t even get their stories straight.“

Samual Parker

Aber noch im Oktober 2023 attackierte die israelische Armee nach UN-Angaben, wie das obige Video zeigt, viele Mitarbeiter von Krankenhäusern in den besetzten Gebieten. 22 palästinensische Krankenhäuser erhielten Warnungen. Solche Räumungs-Befehle sind nach UN-Angaben „Todesurteile“ für die dort liegenden schwerkranken und -verletzten Patienten. Diese, aber auch alle früheren gegen humanitäres Völkerrecht verstoßenden Aktionen der IDF, der Tweet des israelischen PR-Beraters und die Ungereimtheiten der israelischen Version über die Explosionen am 17. Oktober sprechen deutlich für einen mutwilligen israelischen Angriff auf das Ahli Arab Hospital, ebenso die Aussagen der Leiter des Krankenhauses. Die New York Times hatte darüber berichtet, dass die Manager des Krankenhauses vor der Explosion mindestens drei Aufforderungen des israelischen Militärs erhalten haben, das Krankenhaus zu verlassen.

1 The Last Taboo, in: Freedom Next Time. New York 2007, S. 82

2 United Nations Interim Force in Lebanon


Beitrag veröffentlicht

in

, , , , , , , ,

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert