„Vier Arten der Lebensführung gibt es, ihr Mönche: welche vier?
Die Lebensführung, die gegenwärtiges Wohl und künftiges Wehe bringt,
die Lebensführung, die gegenwärtiges Wehe sowie künftiges Wehe bringt,
die Lebensführung, die gegenwärtiges Wehe und künftiges Wohl bringt,
und die Lebensführung, die gegenwärtiges Wohl sowie künftiges Wohl bringt.“
(Die Reden Buddhas, übersetzt und kommentiert von Karl Eugen Neumann. Aus der Mittleren Sammlung: 5. Teil „Die Lebensführung“. Zweites Buch der Paare)
Die Sôlnal*-Feierlichkeiten neigten sich vergangene Woche ihrem Ende entgegen, etwa gleichzeitig mit der Verabschiedung des (deutschen) Karnevals. Sôlnal markiert den Beginn des neuen Jahres nach dem Mondkalender. Er ist wohl neben Tschusôk (dieses Jahr am 22.9.) einer der beiden wichtigsten Feiertage in Korea: Die Straßen sind wesentlich leerer als sonst, teilweise gespenstisch, die meisten Menschen verbringen die Zeit zu Hause im trauten Familienkreis. Morgens findet in den Familien eine Zeremonie statt. Die verheirateten Frauen begehen sie mit Ihrer Familie im Haus ihrer Schwiegereltern. Eltern, die nur Töchter haben, sind also in der Regel erst einmal allein. Es gibt aber auch Ausnahmen, etwa dann, wenn die Schwiegereltern der Frau Ausländer sind.
Ich war in diesem Jahr auch wieder ein Teil dieser Ausnahme und verbrachte die erste Hälfte des Hauptfeiertages am Sonntag im Kreise der (Rest-)Familie meiner Frau. Früh begann dort die Zeremonie, um 8:00 Uhr. Warum so früh?
Die Ahnen, die an diesem Sonntag als spirituelle Teilnehmer zugegen sind, haben Hunger oder würden sich gerne mit einer Darbringung ehren lassen. Fängt die Zeremonie also erst um 10 Uhr an, müssen die Ahnen frühmorgens darben. Just zu dieser Zeit kamen wir aber im vergangenen Jahr an, wir waren träge geworden. Nun stiegen wir, im Vorhinein auf unsere Nachlässigkeit aufmerksam gemacht, aber bereits um 7:00 Uhr am Sonntag in die U-Bahn.
Die ersten Speisen wandern nach der Zeremonie auf den Tisch.
Links: Ein Wasserkrug – manchmal gibt es zum Trinken auch Suchônggoa, ein dunkleres, mit Zimt und Ingwer aufgekochtes Wasser. Normalerweise trinken Koreaner recht wenig zum Essen, Soju durchaus, rechts vor dem Krug Butschimgä, eine Art Pfannkuchen, oberhalb davon ein grauer Becher, der später auch als Sojubehälter dient. Rechts neben dem Butschimgä eine Schale mit Sojasauce; sie lässt sich verwenden zum Würzen des Tofus davor, der Pilze ganz im „Süden“ oder des Chabtschäs, des Nudelgerichtes rechts daneben. Ganz rechts im Bild: Bab, Reis, der ständige Begleiter der Koreaner.
Oberhalb der Sojasauce: Lamul, verschiedene in Europa kaum bekannte Gemüsearten. Rechts neben dem Gemüse: gebratener Fisch und andere gebratene Pfannengerichte (Chôn). Links oberhalb des Gemüses Ddôgguk, die typische Sôlnal-Suppe – nichts für Vegetarier wie die Fische daneben. Kimchi – nordöstlich der Fische – darf natürlich nicht fehlen. Ganz im Norden steht ein Glasbehälter mit einem Reiskuchen. Das Umstürzen des Behälters diente dann dazu, den Reiskuchen zu entnehmen. Selbstbedienung war danach angesagt: Nichts vom ordentlichen Verteilen einzelner Kuchenstücke auf Teller, jeder konnte mit der Hand zugreifen. Man beachte bei den Fischen die abgetrennten Schwanzflossen: Sie dienen als zurückgelegte Speisen für die Ahnen, die geistig auch an der Zeremonie teilnehmen.
Reis, Kimchi und viel Knoblauch
Für Koreaner ist es ganz normal, morgens Reis, Gemüse, Kimchi, Fleisch und dabei auch viel Knoblauch zu essen. Ich habe mich allerdings immer noch nicht daran gewöhnt, werde mich wohl auch in absehbarer Zeit morgens nicht auf die vielfältigen vegetarischen Bestandteile der typisch-koreanischen Kost umstellen.
Doch zurück zu Sôlnal. Was ist für einen Mitteleuropäer in der Regel nicht einfach zu bewerkstelligen? Ohne gefrühstückt zu haben und ohne ein kaffein- oder teeinhaltiges Getränk zu sich genommen zu haben an einer frühmorgendlichen Zeremonie teilnehmen, das mag noch recht locker gehen. Danach gilt es aber gegen 8:00 Uhr – die Luft lastet noch schwer vom Rauch der Räucherkerzen – allerlei gedünstete und gebratene Speisen zu sich nehmen mit einer oder mehreren Portionen Soju (Süßkartoffelschnaps). Das habe ich aus Anlass der letzten Tschusôk- und Sôlnal-Feierlichkeiten so getan, wollte mich in die Zeremonie einfügen. (Die richtigen Jecken im kölschen Karneval fangen morgens ja auch früh zu bechern an.) Danach bespricht sich die Familie, Stunden lang, natürlich ausgedehnt auf Koreanisch. Mittlerweile verstehe ich mehr, doch ein erheblicher Teil bleibt nach wie vor unverstanden.
Was war das Ergebnis der letzten, so begangenen Tschusôk und Sôlnal-Feierlichkeiten? Am späten Nachmittag, wieder zurück in unsere Wohnung gekommen: erst ein leichtes Unwohlsein, dann immer stärker werdende Kopfschmerzen mit allgemeiner Übelkeit. Stundenlanges! Spazieren konnte dann diesen Kopfschmerzen zu Leibe rücken.
Dieses Mal habe ich – zum Glück – nach der Zeremonie keinen Alkohol getrunken. Zum einen aus der Überzeugung, dass der Konsum von Alkohol den Geist trübt und den Körper erschlaffen lässt, zum anderen aus reinem Selbstschutz. Was sind sechzig Minuten aufgelockerte Atmosphäre, also eine Stunde alkoholgestifteter Gemeinsamkeit am Morgen gegen vier Stunden – zum Teil rasender – Kopfschmerzen am Abend?
*sprich Sollal: Das geschriebene „n“ verwandelt sich in diesem Wort, offenbar aus sprechtechnischen Gründen, in ein „l“ und das ô entspricht etwa dem „o“ in dem deutschen Wort „Loch“.
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