Es liegt nun genau ein Jahr zurück. Die einschlägigen Nachrichten erwähnten die Ereignisse heute nicht. Dabei wäre ein Rückblick sicher eine Nachricht wert. Was hat sich seitdem verändert? Eigentlich nicht viel, was die Lebensbedingungen der Menschen betrifft, und das ist schaurig. Dennoch zeigen sich einige Entwicklungen in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung des Geschehens, die hoffen lassen.
Rückblende – Angriff aus heiterem Himmel?
Am 7. Dezember 1941 überfielen die Japaner den amerikanischen Flottenstützpunkt in Pearl Harbor. Der Überfall traf die Amerikaner nicht völlig unvorbereitet, wie heute immer noch viele glauben und wie es Kinofilme mythisch verklärt erzählen. Tatsächlich wussten die unteren Chargen in Pearl Harbor nichts von der bevorstehenden japanischen Attacke. Doch in der US-Regierung gab es Überlegungen, die Japaner zu einem Angriff zu bewegen.
Ist es daher gerechtfertigt, von einem „Überfall“ zu reden? Setzt doch ein Überfall das Überraschungsmoment voraus. Nehmen wir einmal an, die Mitarbeiter einer Bank erhielten eine Ankündigung, dass in einer Woche maskierte Männer in dem Geldinstitut erscheinen würden und mit Waffengewalt Geld verlangten. Können wir diese angekündigte Aktion der Maskierten als einen „Überfall“ bezeichnen? Wohl nicht.
Wir wissen von Aussagen des damaligen Fregattenkapitäns Arthur McCollum, des amerikanischen Kriegsministers Stimson und schließlich von den Worten und Taten des Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, dass den Amerikanern daran gelegen war, die Japaner zu einem Überfall zu provozieren, der dann als Legitimation eines amerikanischen Eingreifens im Pazifik dienen sollte. Außerdem lag es nahe, dass dieses Eingreifen gegen Japan zu einer Solidaritätsbezeugung Deutschlands führen würde. Dies wiederum würde den amerikanischen Krieg in Europa ermöglichen. In Pearl Harbor entstand zwar erheblicher Schaden, unter anderem sanken vier Schlachtschiffe, und etwa 2400 Amerikaner starben. Mitnichten war aber das Rückgrat der amerikanischen Pazifikflotte gebrochen.
Ethnische Säuberung getarnt als Anti-Terror Maßnahme
Anders lagen aber die Verhältnisse vor einem Jahr. Wovon ist die Rede? Es geht um den Überfall der israelischen Armee auf den Gaza-Streifen am 27. Dezember 2008, den Tag des Beginns der Operation „Gegossenes Blei“. Zum Opfer fielen ihr mehr als 1400 Palästinenser und auf israelischer Seite 3 Zivilisten und 10 Soldaten. Die in der ersten Angriffswelle dieser Operation getöteten Zivilisten, Polizisten, Hamas-Kämpfer und Hamas-Politiker wussten nicht, was ihnen bevorsteht. Dazu schrieb Noam Chomsky im Januar 2009:
Der jüngste amerikanisch-israelische Angriff auf hilflose Palästinenser wurde am Samstag, dem 27. Dezember, begangen. Die Attacke war minutiös geplant in der israelischen Presse ist von sechs Monaten die Rede. Zwei Komponenten eine militärische und eine propagandistische spielten bei der Planung eine Rolle. Von grundlegender Bedeutung waren die Lehren, die aus Israels Libanoninvasion 2006 gezogen wurden. Diese galt als schlecht vorbereitet und schlecht vermarktet. Wir können daher ziemlich sicher sein, dass das meiste, was (jetzt) gesagt und getan wurde, geplant und beabsichtigt war.
Das Timing des Angriffs
Ganz sicher gilt das auch für das Timing der Attacke: Sie begann kurz vor der Mittagszeit, als die Kinder aus der Schule kamen und Menschenmassen die Straßen des dichtbesiedelten Gaza-Stadt füllten. Man brauchte lediglich Minuten, um über 200 Menschen zu töten und 700 zu verwunden. Dieser Auftakt war ein Omen – für den kommenden Massenmord an einer schutzlosen, zivilen Bevölkerung, die in einem kleinen Käfig in der Falle sitzt und keinen Ort hat, an den sie sich flüchten kann…
Im Februar 2009 kam es zu einer Geberkonferenz in Scharm el Scheich. Verschiedene Staaten versprachen etwa 4,5 Milliarden Dollar an Aufbauhilfe für den Gaza-Streifen. Damit einigten sich diese also auf den Wiederaufbau der von Israel zerstörten Straßen, Häuser, Fabriken, Schulen, Lebensmittellager und Moscheen – also darauf, die Zeche eines anderen zu zahlen. Von der Aufbauhilfe kam aber bisher nur wenig im Gaza-Streifen an. Das Internationale Rote Kreuz kritisiert im Juni 2009 in seinem Bericht „Gaza – 1,5 Millionen Menschen gefangen in Verzweiflung“ die fortgesetzte Abriegelung des Gaza-Streifens. 80 Prozent weniger Einfuhren über israelisches Gebiet seien im Mai 2009 im Vergleich zum April 2007 zu verzeichnen gewesen. Das Abwassersystem sei weiter in einem miserablen Zustand, tausende Häuser hätten keinen Zugang zu fließendem Wasser. 40% der Familien müssten mit einem monatlichem Haushaltseinkommen von wenger als 120 Dollar auskommen. Die Arbeitslosigkeit habe 44% im April 2009 erreicht. Die UNEP (die Umweltorganisation der UN) gibt im September einen Bericht heraus, wonach das Grundwasser des Gaza-Streifens in höchster Gefahr sei.
Wärend derzeit im Gaza-Streifen Zehntausende unter Hunger, erschwerten sanitären Verhältnissen und fehlender medizinischer Versorgung leiden und in notdürftig wieder hergestellten Quartieren oder in den Trümmern der zu Tausenden zerstörten Wohnungen hausen, baut Israel völkerrechtswidrig weiter seine Siedlungen in der West-Bank und in Ostjerusalem aus.
Im Oktober tagte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nation in Genf. Er nahm mit einer Mehrheit von 25 der 47 Mitglieder eine Resolution zum Report über den Gaza-Krieg zur Jahreswende an. Sie billigt die vom Rat selbst in Auftrag gegebene Dokumentation des Richters Richard Goldstone, eines jüdischen Süd-Afrikaners, der international einen ausgezeichneten Ruf genießt. Der Bericht kritisierte Kriegsverbrechen auf beiden Seiten. Israelische Politiker lehnten den Bericht als unausgewogen und ungerecht ab.
Der Bericht ist allerdings alles andere als unausgewogen und ungerecht. Er versucht nur die tatsächlichen Verhältnisse und Ereignisse einigermaßen neutral zu beschreiben. Schief war hingegen die Operation „Gegossenes Blei“, der Anschlag der im Nahen Osten am besten ausgerüsteten Armee eines im relativen Wohlstand lebenden Landes auf eine verarmte, in einem riesigen Ghetto lebende Bevölkerung, die sich mit einigen tausend Kämpfern zur Wehr setzte.

Im Januar 2009 starben weniger als zehn Israelis durch palästinensische Angriffe aus dem Gaza-Streifen und etwa 920 – 970 Palästinenser im Gaza-Streifen. Verteidiger der Operation „Cast lead“ behaupten oft, es handele sich bei diesen Zahlen um palästinensische Propaganda.
Doch auch die israelische Organisation „B’Tselem“, die die Namen der palästinensischen Opfer veröffentlicht, gibt die Gesamtzahl der getöteten Palästinenser mit 1387 Personen an. Die Zahl der verwundeten Palästinenser, von denen heute immer noch ein großer Teil ohne angemessene medizinische Versorgung ist, betrage weit mehr als 5000. Die Anzahl der getöteten Palästinenser, die an den Kampfhandlungen teilnahmen, belaufe sich nur auf 331. Von den Opfern, die nicht teilnahmen, waren 320 Personen Kinder unter 18 Jahren.
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