Die substanzlose, propagandistische Berichterstattung vieler westlicher Mediengesellschaften über die Wahlen im Iran zeigt wieder einen erneuten Tiefpunkt des Journalismus an; sie reflektiert mehr den selbstzentrierten Zustand der westlichen Gesellschaft und ihrer oligopolistisch organisierten Meinungsmacher als die Realität im Iran. Natürlich ist es wünschenswert und legitim, wenn Medien über Wahlen in anderen Ländern berichten. Eine informative, interessante und kritische Berichterstattung ist das Geschäft der Medien. Doch das Dämonisieren unerwünschter politischer Führer, das Verbreiten unbewiesener Behauptungen und das Anfachen einer revolutionären Stimmung unter den Anhängern einer deutlich unterlegenen Opposition zeugt von Demokratiedefiziten.
Im International Herald Tribune von diesem Wochenende (20 – 21. Juni 2009) meint David Brooks: „Die Kernlektion der derzeitigen Ereignisse [im Iran] ist, dass das iranische Regime brüchig im Inneren ist. Wie alle autokratischen Regime ist es halsstarrig, leidet unter Wahnvorstellungen, ist insular, unsicher, impulsiv, tolpatschig und illegitim geworden“. Sein Kollege Roger Cohen behauptet in derselben Ausgabe, dass Ahmadinedschad „unbeständig und starrköpfig, der Gesprächspartner der Hölle, während Mussawi geradlinig und zurückhaltend“ sei. „Täuschung und der Versuch, Widerspruch kleinzuhalten sind nun Irans tägliche Währung“. Die beiden Journalisten begründen ihrer Behauptungen nicht. Doch nehmen wir einmal an, die Iraner seien unzufrieden mit ihrer politischen Führung. Ist es dann nicht Sache der Iraner selbst, sofern sie dies wollen, diese abzuwählen oder zu ändern? Müssen selbsternannte Schiedsrichter westlicher Länder Aufruhr anzetteln und die Iraner zum Widerstand gegen ihre Regierung aufrufen?
Diktator und Gesprächspartner der Hölle
Seit Wochen läuft in der BBC eine Berichterstattung über die Wahlen im Iran, in der, wenn Iraner selbst zu Wort kommen, überwiegend gut ausgebildete, englischsprechende Intellektuelle aus der Mittel- und Oberschicht das Sagen haben. Der auf die anglosächsische Medienwelt zugeschnittene Slogan „Where is my vote?“ kann kaum den iranischen Durchschnittsbürger repräsentieren. Die FAZ meint, diese parteiische Berichterstattung, sei „unerschrocken„. Vertreter des breiten Volkes, der Arbeiter, Handwerker, Kleinbauern, die für die breite Anhängerschaft Ahmadinedschads repräsentativ wären, fehlen dagegen im BBC-Studio. Ein Großteil von Ihnen hat keinen Zugang zum Internet. Das unten abgebildete Video gibt Stimmen derjenigen wieder, die in der BBC kaum zu hören sind. Darin kommt auch eine Sprecherin am Ende zu Wort, die vorgestern in den BBC-Nachrichten interviewt wurde. Man sah der BBC-Journalistin, die die Ausführungen dieser Iranerin schnell beenden wollte (sollte?), deutlich an, dass sie sich unbehaglich angesichts der geäußerten Kritik fühlte.
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Press TV-Video, eingestellt von presstvlondon
Die Amerikaner verhalten sich noch relativ zurückhaltend, was ihre Kommentare zu den iranischen Wahlen betrifft. Man solle den Willen des Volkes respektieren, meint Barack Obama. Dennoch mischt er sich wieder über Gebühr in die inneren Angelegenheiten des Iran ein. Iran solle alle „ungerechten Maßnahmen gegen seine eigenen Leute“ beenden. Und er meint:“Wir trauern um jedes unschuldige Leben, das verloren geht“. Obama hätte also viel zu ändern im eigenen Land, denn seine wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die heruntergewirtschafteten Traditions-Unternehmen und gescheiterten Wallstreet-Konglomerate unter die Arme greifen, während die breite Masse der Amerikaner weiter im Regen steht, lassen sich schwerlich als gerecht bezeichnen. Zudem müsste er lange trauern. Die außerhalb jeder Kampfhandlungen stehenden Zivilisten, die in Afghanistan, Irak und Pakistan aufgrund der – auch von Obama fortgesetzten – amerikanischen Interventionen ihr Leben verloren und weiterhin verlieren, belaufen sich auf weit mehr als eine Million.
Weltpolizisten in Europa und Amerika
Der deutschen Bundesregierung fällt offenbar nichts Besseres ein, als von der iranischen Regierung Transparenz und „Konsequenzen“, also eine Nachzählung der Stimmen zu fordern. Jürgen Trittin spricht, als Vertreter der Opposition, von der Notwendigkeit der Aufklärung des Wahlbetruges. Was gibt euch eigentlich das Recht dazu?
Die FAZ ringt um einen Standpunkt in Bezug auf die Wahlen im Iran. Einerseits möchten ihre Redakteure, sich vom grundsätzlichen iran-bevormundenden Diskurs der etablierten Medien nicht zu sehr unterscheiden, andererseits ist die FAZ um ein eigenes Profil bemüht. Das führt dann zu selten inhaltslosen Aussagen. Wolfgang Günter Lerch meint etwa, „dass es auch innerhalb der Führung der Islamischen Republik Differenzen und Machtrangeleien gibt“. Wo gibt es das nicht?
Günther Nonnenmacher spricht sich zwar am 16. Juni besonnen dafür aus, dass der Westen sich nicht in iranische innere Angelegenheiten einmischen sollte und nicht schon jetzt einen Präsidenten Mussawi, dessen Programm kaum bekannt sei, unterstützen solle. Er stellt sich aber geschickt auf die Seite derjenigen, die in den vergangenen Tagen gebetsmühlenartig den Vorwurf vom Wahlbetrug wiederholten. Denn er spricht vom „offenbar gezinkten Kantersieg Ahmadineschads über seinen Herausforderer Mussawi“. Herr Nonnenmacher, was veranlasst Sie zu behaupten, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugegangen ist? Dafür sollten auch Sie die Beweise liefern. Anschuldigungen, auch unbegründete, verbreiten sich heute leider schnell, und wenn sie noch von „Qualitätszeitungen“ vertreten werden, um so schneller. Tatsächlich waren im Iran die Stimmenverhältnisse schon Wochen vor der Wahl stabil. In der Washington Post vom 15. Juni war zu lesen, dass einer drei Wochen vor den Wahlen im Iran durchgeführten Umfrage gemäß, für den derzeitigen Präsidenten im Verhältnis von 2:1 mehr Stimmen vorgelegen hätten als für seinen Wahlgegner Mussawi.
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