Ein oder zwei Hände?

Menschen schreiben gewöhnlich mit der rechten Hand. Sie benutzen auch ihre rechte Hand zum Werfen oder zum Halten eines Hammers. In Korea gilt es zudem als höflich, mit der rechten Hand dargebotene Getränke oder andere Dinge des alltäglichen Bedarfes entgegenzunehmen. Aber Moment mal: nur mit der rechten Hand? Das kommt darauf an. Ist die Person, die das Getränk oder den Gegenstand weiterreicht, jünger oder in der gesellschaftlichen Hierarchie weiter unten angesiedelt als derjenige, der das Getränk entgegennimmt – dann reicht die rechte Hand aus.

Aber was passiert, wenn der Geber älter oder “wichtiger” ist? Dann sollte man sich davor hüten, nur mit einer Hand das Getränk entgegenzunehmen. Das eine oder andere Mal bin ich bereits in dieses Fettnäpfchen getreten: Ältere Menschen boten mir ein Getränk an, und ich habe nur mit einer Hand (manchmal sogar mit der linken Hand) den Becher zum Einschenken hingehalten. Darauf erntete ich irritierte Blicke. Bald klärte man mich dann auf über den Ursprung dieser verstörten Reaktionen: Ich solle doch bitte in Gegenwart von älteren Leuten den Becher mit beiden Händen darreichen.

Sei still, wenn du mit mir sprichst.

Ebenso gilt es als unhöflich, vor älteren Leuten Alkohol zu trinken, auch wenn die ältere Person selbst einschenkt. Klingt paradox: Wenn du mit mir redest, sei still! Warum? Das Alkoholtrinken wirkt in gewisser Weise als soziales Einebnungsinstrument, Rangunterschiede verschwinden, und die zusammen Trinkenden gelten für einen Moment als ebenbürtig. Um aber dennoch die soziale Stufenleiter nicht ganz aus den Augen zu verlieren, sollte die jüngere Person, wenn sie den Becher oder das Glas zum Mund führt, leicht ihren Kopf zur Seite bewegen und nicht ihrem älteren Gegenüber “ins Gesicht” trinken.

Doch zurück zum Entgegennehmen mit beiden Händen. Ebenso ist es in der Schule oder der Universität. Verteilt der Dozent etwa Kopien, nehmen die Studenten mit beiden Händen die Kopien entgegen – oder, was gleichbedeutend ist: Sie greifen mit der rechten Hand nach der Kopie und stützen mit der linken Hand, etwa in der Nähe des Handgelenkes, ihren rechten Arm ab.

Aber was ist der Ursprung dieses Brauches? Bisher habe ich darauf noch keine Antwort erhalten. Einige Sitten und Gebräuche haben sich irgendwann einmal eingeschliffen und die genauen Gründe sind nun unbekannt. Andererseits lassen sich viele Gewohnheiten plausibel erklären. So begrüßt man sich in westlichen Ländern, indem man sich gegenseitig die rechte Hand schüttelt. In Korea ist dagegen das Händeschütteln beim Begrüßen unüblich, stattdessen verneigen sich die Begrüßenden voreinander (Je bedeutender das Gegenüber, desto tiefer … Oder: Je mehr man sich von dem Gegenüber erhofft, desto tiefer). Der Grund für das Händeschütteln liegt darin, dass früher die rechte Hand die Waffenhand war. Mit dem Händeschütteln konnte man nun seinem Gegenüber beweisen, dass die Waffenhand frei war, dass man also in friedlicher Mission gekommen war. Auch Barack Obama machte von diesem Bild in seiner ersten Rede als Präsident Gebrauch, er wolle denjenigen, die die Faust öffneten, auch die Hand reichen. Wen meinte er wohl damit?

Barack Obama und Lee Myung-bak

Barack Obama und Lee Myung-bak – Foto: The Guardian


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Kommentare

3 Antworten zu „Ein oder zwei Hände?“

  1. Avatar von warum07

    ja spannend, vielleicht bekommst Du ja noch den Ursprung dieses Brauches raus

    aber vom Gefühl her würde ich sagen beidhändig etwas zu ergreifen, hat was, dem Anderen Ehre erbietend,
    oder wie soll ich es ausdrücken, hier in Europa hätte man von einem König oder in der Kirche auch immer alles mit 2 Händen in Empfang genommen, zumindestens kommt mir kein Bild von mit einer Hand z.B. einen Kelch entgegennehmen, in den Sinn

    liebe Grüsse
    Karen

    1. Avatar von Perspektivator

      Ja, offenbar werden auch in Europa wichtige Gaben bei offiziellen Anlässen mit beiden Händen entgegengenommen. Im katholischen Messritus etwa Hostien durch die Gläubigen – hier stützt zumindest eine Hand die andere ab. Allerdings hält der Priester auch mit einer Hand die Hostie hoch. (Man könnte die Wandlung ja auch als das Entgegennehmen der göttlichen Gestalt auffassen.) Ich bin (kunst-)geschichtlich nicht so bewandert, dass ich sagen könnte, dass dies grundsätzlich bei allen wichtigen offiziellen Anlässen der Fall ist. Im alltäglichen Leben unter normalen Bürgern spielt das Entgegenehmen eines Gegenstandes mit beiden Händen dagegen eine geringere Rolle.

      1. Avatar von warum07

        ja so seh (und kenne) ich das auch 🙂

        liebe Grüsse
        aus Berlin

        Karen

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