Sonntag, 15.2.2009
Wir starten mit unserem neuen Reisebegleiter, Herrn Song, zu den Ming Gräbern durch. Herr Song trägt eine Militärhose und Turnschuhe. Eine Art buddhistische Kette ziert sein Handgelenk. Er spricht schnell und bestimmt, hält längere, doch nicht zu ausführliche Monologe. Er wirkt wie eine Art Feldwebel mit zenbuddhistischem Einschlag.
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Talisman des Fahrers
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Im Bus sitzen neben J. auch eine koreanische Mutter mit ihren zwei Töchtern, dahinter eine chinesische Mutter mit ihrem Sohn (beide wohnen in den USA) und auf der Rücksitzbank zwei bedächtig auftretende israelische Männer, die vielleicht Ende zwanzig sind. Sie unterhalten sich auf Hebräisch. Mir kommt der Gedanke, sie wegen der blutigen Geschehnisse im Gaza-Streifen anzusprechen. Doch ich unterlasse es; die entspannte Stimmung wäre wohl ziemlich schnell im Keller gewesen.
Wir fahren zuerst zu den Ming Gräbern, in denen 13 bis 16 Herrscher der Ming-Dynastie (1368 – 1644) begraben sind. Der unmittelbare Zugang zum Chang Ling Grab, das wir besichtigen, ist allerdings nicht möglich, stattdessen kann man chinesische Vasen und Seide bestaunen im weiter oben gelegenen Saal, zu dessen Bau Arbeiter vollständige Baumstämme aus entlegenen Teilen Chinas anschleppten.
Blick vom Chang Ling Grab auf den Eingang der Anlage
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Das Wetter ist sehr schön; auf dem Weg zu den Gräbern kann ich auch Fotos vom 91000 Besuchern Platz bietenden Vogelnest-Stadion machen. Die Eigentümer des Stadiums überlegen nun, es in einigen Jahren in ein Einkaufszentrum zu verwandeln. In koreanischen Zeitungen erscheinen in letzter Zeit Wohnungsanzeigen: Die vielen im Olympischen Park stehenden Apartmenthäuser, in denen im vergangenen Jahr Journalisten logierten, stehen teilweise leer.
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Vogelnest-Stadion
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Nun rührt man die Werbetrommel für Mieter oder Käufer von Eigentumswohnungen. Danach machen wir einen Abstecher zu einer Jade Fabrik, in der es in riesigen Räumen Schmuck und Figuren aus Jade in allen möglichen Farben und Qualitätsstufen gibt.
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Herstellung eines Jadeutensils in einer chinesischen Jadefabrik
Wir essen in der Nähe eines Andenkenladens (wieder eine unverhüllte Einladung zum Kaufen) und fahren dann zum Badaling-Teilabschnitt der Großen Mauer, deren Bau in der Qin-Dynastie (221-207 v.Chr.) begann. Ihre Funktion als Schutzwall konnte das von vielen hunderttausend Arbeitern – darunter zahlreiche Kriegsgefangene – errichtete Bauwerk in ihrer Geschichte allerdings kaum wahrnehmen. Von der einst rund 5000 km langen Mauer sind heute viele Stellen verschwunden. Die verbliebenen Reste, manchmal mehrere dutzend Kilometer lang, imponieren allerdings immer noch.
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Badaling-Teilabschnitt der Großen Mauer
Herr Song meint, wir hätten zwei Stunden Zeit zur Besichtigung. Auf der Hinfahrt zur Mauer hat er bereits vorgeschlagen, den Kabelwagen nach oben zu benutzen. Schließlich warten wir aber mehr als zwanzig Minuten vor der Startplattform des Kabelwagens in einer großen Besucherschlange, der eiskalte Wind pfeift uns um die Ohren, endlich können wir in den Kabelwagen nach oben einsteigen. Ich wäre lieber zu Fuß zur Mauer gegangen. Im Schritttempo geht es nun mit dem Kabelwagen durch einen Tunnel nach oben (Fantasia-Land lässt grüßen).
Oben genießen wir eine wirklich ausgezeichnete Sicht, zumal das Wetter sehr klar ist. Wir schauen uns also den langen Schutzwall an und auf dem Rückweg verpassen wir den richtigen Ausgang, denn die einzelnen Teilabschnitte, Zugänge und Abgänge ähneln sich wirklich sehr. Wir warten wieder in der Schlange vor dem Kabelwagen. Dieses Mal geht es nach unten. Die Funktionsweise der Bahn ist ziemlich primitiv. Die einzelnen Wagen laufen auf einer Eisenschiene. Die Mitarbeiter der Kabelwagengesellschaft schieben die Wagen zum Abfahrtspunkt. Dort stehen letztendlich etwa sieben in einer Reihe hintereinander. In den ersten Wagen setzt sich ein Mitarbeiter und löst die Bremse. Angetrieben von der Schwerkraft, den Wagen des Steuermanns noch zusätzlich schiebend, gleiten die Wagen nach unten, während der Führer der Schlange im ersten Wagen unentwegt bremst, so dass sich die Luft bald mit dem Gestank von verbranntem Gummie durchsetzt.
Auch Chinesen glauben gerne an Mythen
In unserer Reisebeschreibung steht, wie in vielen anderen, die Große Mauer sei das einzige Gebäude, dass man vom Mond aus sehen könne. Tatsächlich glaubten die Chinesen lange an diesen Mythos. Er brach aber zusammen, als der erste chinesische Astronaut, Yang Liwei, die Anlage aus wesentlich kürzerer Entfernung aus dem Weltraum nicht sehen konnte.
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Badaling-Teilabschnitt der Großen Mauer
Nun machen wir noch einen Besuch in der Seidenfabrik. Wir erhalten eine Kurzeinführung über die Herstellung von Seide und können dann die edlen Stoffe in Form von Bettbezügen, Hemden, Schals und anderen Kleidungstücken bwundern. Die Versuchung ist groß, ein Hemd oder eine Krawatte zu kaufen.
Danach kehren wir bei dem Teehaus „Dr. Tee“ ein. Eine chinesische Dame, die aus der Provinz Yunnan kommt, erklärt und versorgt uns mit kostbarem chinesischen Tee. Sie stellt vier Sorten vor: „Weißen Tee“, Puer-Tee (in Deutschland auch als Tee zum Abnehmen bekannt), Oolong-, Jasmin- und Litchi-Tee. Sie meint zu mir, der Golden Yunnan, nach dem ich sie frage, sei hier wesentlich günstiger als in Deutschland. Dem ist aber nicht so. Er kostet vier Mal so viel wie in einschlägigen deutschen Teegeschäften. Abends schauen wir uns noch etwas im Viertel Wangfujing um und fahren mit dem Taxi zum Hotel. Die Fahrt auf der etwa sechs Kilometer langen Strecke kostet umgerechnet 2 Euro.
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