Mit Kerzen gegen die Regierung

In den vergangenen vier bis fünf Monaten haben vor allem die Proteste gegen amerikanische Rindfleischimporte die Bürger des Landes auf die Straßen gebracht. Präsident Lee besuchte den amerikanischen Präsidenten in Camp David am 18. April. Nachdem er von seiner Reise, die ihn in die USA und nach Japan führte, zurückgekehrt war, fühlten sich viele Koreaner verraten. Denn Lee, so meinten sie, habe dem US-Präsidenten „ein Antrittsgeschenk“ gemacht. Einige sprachen auch von einem „Kotau“: Lee hoffte Visaerleichterungen für Koreaner in den USA durchsetzen zu können. Dafür bot er die Aufhebung eines Einfuhrverbotes von amerikanischen Rindfleisch an; die Amerikaner durften dieses seit 2003 nicht mehr nach Korea einführen, nachdem in den USA ein Fall von Rinderwahnsinn auftrat.

Die Demonstationen begannen am 2. Mai, als hunderte von uniformierten Schulmädchen sich mit Kerzen in der Innenstadt versammelten. Jeden Tag marschierten nun unzufriedene Leute auf, wieder andere potenzielle Demonstranten ansprechend. Es kam zum Schneeballeffekt:  Mehr als 40 000 Demonstranten versammelten sich am 31. Mai in der Sejong Straße im Zentrum von Seoul. Die Polizei nahm an diesem Tag mehr als 200 Protestierende nach gewaltsamen Auseinandersetzungen fest.

Gegen den Import von Rindfleisch – Foto Korea Times 10. Juni 2008

Ich fragte mich: Warum gehen die Leute mit Kerzen auf die Straßen? Ist die Rindfleischfrage wirklich so wichtig? Im Fernsehen war das Rindfleischthema wochenlang der wichtigste Gegenstand in den Nachrichtensendungen; er überschattete auch die beiden regionalen Katastrophen im Mai: Nachrichten aus dem vom Hurrican gepeinigten Myanmar und aus dem erdbebengeschüttelten China drangen daher nur noch spärlich durch. Vermutlich hat auch die Landwirtschaftslobby in Korea die Ängste der Bevölkerung bewusst geschürt. Denn für die Landwirte droht Gefahr von den amerikanischen Rindfleisch-Billigimporten. Protestierende, Gesundheitsinstitutionen und verschiedene Organisationen befürchteten insbesondere, dass von mehr als 30 Monate altem Rindfleisch besondere Risiken ausgehen. Ich hätte all diesen Menschen eine einfache, gesunde und ethisch vertretbare Lösung anbieten können: Leute, esst kein Fleisch mehr!

Unzufriedenheit mit der Regierung unter den Teppich gekehrt?

Aber Moment mal, kann es sein, dass die Staatsender KBS1 und KBS2 und die anderen staatlich beinflussten Medien die Proteste so darstellten, als gehe es den Menschen nur um die „Rindfleischfrage“? Rückblickend habe ich diesen Verdacht. Denn schon von Anfang an schwangen wohl auch andere Protestmotive mit. Das Fernsehen wollte offenbar diesen anderen Unzufriedenheiten nicht zu viel Raum geben, da dies gegen die Staatsräson gewesen wäre.
Um was ging es noch? Es ging um koreanischen Nationalstolz, Überdruss gegen eine Regierung, die koreanische Interessen auf dem Altar der Wirtschaft und dem der Diplomatie opfert, gegen ein Regieren mit harter Hand über die Köpfe der Bürger hinweg („Wir bauen einen Kanal durch Korea, einerlei ob ihr dafür oder dagegen seid“), gegen eine „pragmatische“ Politik der Regierung, die nur am wirtschaftlichen Vorteil interessiert ist, gegen das Auf-Eis-Legen des innerkoreanischen Entspannungsprozesses.

Die Macht der Straße

Warum Proteste mit Kerzen? In Deutschland gehen die Leute mit Kerzen auf die Straße, wenn sie etwa gegen Kriege protestieren oder wenn sie Überfälle auf Asylbewerberheime anprangern. Später, beim Kramen in einigen alten Zeitungen, stellte ich jedoch fest, dass die Proteste mit Kerzen durchaus eine längere Tradition in Korea haben. Vor vier Jahren gingen viele Koreaner mit Kerzen auf die Straßen, um gegen ein Amtsenthebungs-verfahren gegen Präsident Roh zu demonstrieren. Vor sechs Jahren überrollte ein amerikanischer Panzer zwei Schulmädchen. Doch es folgte keine Entschuldigung von amerikanischer Seite. Viele Koreaner protestierten, Kerzen bei sich führend, gegen dieses Verhalten.

Doch zurück zu den Protesten in diesem Jahr. Im Juni wurden sie so stark, dass die Regierung Lee ihren Rücktritt anbot. Der Präsident entließ schließlich fast alle älteren Mitglieder aus dem Blauen Haus, behielt aber die meisten Kabinettsmitglieder. Immerhin mussten einige Minister den Hut nehmen. Wann ebbten die Proteste ab? Das lässt sich schwer sagen, vermutlich schwelen sie immer noch weiter.


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