China I

An der nördlichen Grenze Koreas liegt China. Was ist das für ein Land, das sich wie ein Ozean vom See Korea abhebt? Was passiert heute in diesem Land, in dem vor fünfzig Jahren Mao Zedong wütete, dessem „Großen Sprung nach vorn“ Millionen Chinesen zum Opfer fielen? Welches Land ist das, in dem fünfhundert Jahre vor Christus Konfuzius die „goldene Regel“ aufstellte? (Dsi Gung fragte und sprach: „Gibt es ein Wort, nach dem man das ganze Leben hindurch handeln kann?“ Der Meister sprach: „Die Nächstenliebe. Was du nicht wünschest, tu nicht anderen“ Lunyü XV, 23).

Heute sehen einige Politiker in China eine Gefahr. US Politiker, nicht nur Neokonservative wie William Kristol and Robert Kagan, sondern auch eher „progressive“, wie der Obama Berater Zbigniew Brzezinski (siehe hierzu Webster Griffin Tarpleys Beitrag vom März 2008) , arbeiten auf eine Destabilisierung Chinas hin.

Von China stürzten oft Reiterheere nach Korea, so unterwarfen im 17. Jahrhundert die Mandschu das Chosôn-Reich. Andererseits expandierte Koguryô im vierten Jahrhundert nach China, also das Land, von dem das heutige Korea seinen Namen erhielt. Die chinesische Sprache, Wissenschaft, Kultur und Architektur, vor allem der Konfuzianismus und der Buddhismus, beeinflussten Korea erheblich.

China lässt sich nicht auf ein paar Worte oder auf eine Formel bringen, wenn auch die Versuchung der westlichen Medien groß ist, dies zu tun. Nichtsdestoweniger haben wir alle ein Bild von China. Denn „der Westen“, Chinas Nachbarn und die anderen Staaten dieser Erde stehen in irgendeiner Beziehung zu China. Auch der gewöhnliche Mensch sieht sich heute zunehmend chinesischen Kultureinflüssen und Konsumzumutungen ausgesetzt. Gegenstand der folgenden Ausführungen (China I und II) sind daher ein paar bruchstückhafte Überlegungen über China, zum Teil persönlich gefärbte.

Verfolgt wegen Gottlosigkeit

Im 18. Jahrhundert bekam der Philosoph Christian Wolff (1679-1754) Schwierigkeiten. Er hatte sich zu wohlwollend über China und seine Denktradition geäußert. Er meinte, die Chinesen hätten erfolgreich eine praktische Lebensphilosophie ohne Gott entwickelt. Wolff verlor 1723 seinen Lehrstuhl in Halle und musste Preußen verlassen; Königs Friedrich Wilhelm I zwang ihn dazu, unter Androhung der Todesstrafe.

Nicht aus Interesse an Erkenntnisgewinn, aber aus handfesten wirtschaftlichen Motiven betrachteten westliche Mächte im 19. Jahrhundert das Land der Mitte, allen voran die Briten. China galt ihnen mehr oder weniger als Eigentum, das es militärisch in Schach zu halten und wirtschaftlich auszubeuten galt.

Auf diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass die in den vergangenen Wochen aufkommende Empörung über das Niederschlagen der „Revolte“ in Tibet von den westlichen Medien inszeniert war. Denn es handelte sich hier nicht um einige hochstehende tibetische Freiheitskämpfer, die in Lhasa am 10. März aufbegehrten gegen ein Regime, das es mit den Menschenrechten nicht so genau nimmt, es waren auch nicht hauptsächlich Mönche an den Protesten beteiligt, sondern zu einem beträchtlichen Teil Randalierer, die Geschäfte in Brand steckten und Menschen ermordeten. Wer kann es den Chinesen verübeln, wenn sie dann hart einschreiten?

Allerdings bringe ich wenig Verständnis für die chinesischen Randalierer in Seoul auf. Angesichts des olympischen Fackellaufes kam es in der südkoreanischen Metropole auch zu chinakritischen Kundgebungen. (Siehe dazu den Artikel in der Korea Times vom 30. April 2008). Etwa zehntausend chinesische Demonstranten, überwiegend Studenten, offenbar durch die chinesischen Medien aufgebracht, zogen gegen einige hundert chinakritische Aktivisten ins Feld. Die Chinesen scheuten nicht davor zurück, auf die Aktivisten und die herbeiströmenden Polizisten einzuprügeln, mit Steinen und Flaschen zu werfen und Gebäude zu beschädigen.

Gewaltsame chinesische Proteste in Seoul (Bild: rokdrop)

Worauf wollten die Aktivisten aufmerksam machen? China unterdrückt die Tibeter. Es kolonisiert Tibet, führte dort neue, zum Teil verheerende landwirtschaftliche Methoden ein, ließ große Bevölkerungsteile verhungern, verfolgt, foltert und ermordet tibetische Mönche und beraubt die Tibeter systematisch ihrer Kultur.

Doch in welchem Ausmaß? Liegen genauere Daten und unabhängige Untersuchungen über die chinesische Repression vor? Ich weiß es nicht. Exiltibeter behaupten, dass über 1,2 Millionen ihrer Landsleute infolge der chinesischen Eingriffe gestorben seien.

Andere zweifeln an diesen Daten. Wiederum gibt es Stimmen, wie Michel Chossudovsky, der in seinem Aufsatz „China and America: The Tibet Human Rights PsyOp“ behauptet, die geflohenen und getöteten Tibeter seien eher Opfer von geostrategischen Auseinandersetzungen, geführt auf einem asiatischen Schachbrett zwischen den Großmächten, geschürt von den USA.

Westliche Doppelmoral

China steht (oder stand?) also kurz vor den olympischen Spielen am Pranger. Unter den Anklägern befinden sich aber Bürger eines Staates, der es mit den Menschen-Rechten anderer Staaten, darunter die von 25 Millionen Irakern, auch nicht sehr ernst nimmt. Dem Irak Krieg sind bisher über eine Million irakische Zivilisten zum Opfer gefallen. Einen weltweiten öffentlichen Aufschrei gegen die Verletzung ihrer Menschenrechte gab es bisher nicht. Auch die Vertreter anderer Länder, die sich am sogenannten „Kampf gegen den Terror“ beteiligen, in Wirklichkeit aber Terror exportieren, empören sich gegen China.

Seit den ersten Erschütterungen des verheerenden Bebens konzentriert sich das Interesse der Weltöffentlichkeit aber nicht mehr auf Tibet. Politiker, Journalisten und die interessierte Öffentlichkeit schauen nach Sichuan. Die chinesische Staatsführung vermittelt den Eindruck des guten Menschen von Sezuan, während offenbar der Wirbelsturm Nargis die Generale Birmas (Myanmars) auf ihren Sesseln kleben ließ und die Weltgemeinschaft paralysierte, so müssen die Bewohner Myanmars weiter in ihrem Elend zugrunde gehen.

Aber, falls er da sein sollte, wo bleibt der Schöpfer denn?

Angesichts dieser Verwüstungen drängt sich die Theodizee-Frage auf. Menschen, die an einen Gott glauben, haben es dann schwer zu begründen, wie ein allmächtiger, guter und gerechter Gott diese Katastrophen zulassen kann. Denn diese Ereignisse gehen nur begrenzt auf menschliches Verschulden zurück, sondern zu einem größeren Teil auf „natürliche“ Faktoren. Gingen diese Katastrophen nur auf menschliches Versagen zurück, ließe sich argumentieren, dass Gott die menschliche Freiheit nicht aufheben will und dass die erlittenen Übel Lernchancen auf dem Weg zu einer größeren Vollkommenheit darstellten.

Aber was ist, wenn das Übel eine natürliche Ursache hat? Die Idee, das wir in der besten aller möglichen Welten leben und dass Gott ein Übel im Universum zulässt, weil es zu einem größerem Gut führe, überzeugt mich nicht. Denn die Erfahrung, die wir von dieser Welt haben, beweist noch nicht die Zweckmäßigkeit einer göttlichen Vorsehung. Goethe zweifelte nach dem Erdbeben in Lissabon bereits als junges Kind an der Existenz Gottes; 1755 starben dort ungefähr 30000 bis 100000 Menschen.


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