Kulturelle Katastrophe

Heute vor einer Woche starb Koreas Nationalschatz Nr. 1, das „Süd-Tor Koreas“, auch bekannt als Namdaemun oder, offiziell, Sungneymun. Das Tor war eines von vier Toren, die während des Chosôn Königreiches (1392 – 1910) die Hauptstadt umgaben. In weniger als sechs Stunden zerstörte eine Feuersbrunst das mehr als sechshundert Jahre alte Gebäude, das einigen ausländischen Invasionen trotzte, der japanischen Besatzung und sogar dem Korea Krieg. Der ehemalige Sôuler Bürgermeister Lee Myungbak gab das Gebäude im Jahre 2006 für die Öffentlichkeit frei.


Namdaemun
Photo: Korea Times

Ein Brandstifter schlich sich am Sonntagabend, etwa um 20:30 Uhr in den Innenraum. Er nutzte dabei den toten Winkel des von sechs Kameras „bewachten“ Wahrzeichens – und eine Leiter. Sorgfältig verteilte und entzündete der hasserfüllte alte Mann Lösungsmittel aus drei 1,5 Liter Flaschen im Raum. Dann flüchtete er, nahm ein Taxi, besuchte seinen Sohn in Ilsan und ging schließlich zu seiner Ex-Frau. Aufgrund von Zeugenaussagen konnte die Polizei den Brandstifter schließlich auf der Ganghwa Insel festnehmen.

Wir sahen die Katastrophe im Fernsehen, in der Nacht; mindestens zwei Sender übertrugen das Geschehen direkt. Etwa 30 Feuerlöschwagen und mehr als 90 Feuerwehrmänner bekämpften die Flammen. Ihre Versuche, das Feuer zum Erliegen zu bringen, wirkten jedoch recht hilflos, so als ob sie mit Wasser-Spielzeugpistolen den Großbrand löschen wollten. Ich fragte mich: Warum halten sie diesen großen Abstand vom Gebäude und gehen nicht näher heran? (Sie standen außerhalb der Umrandung, die man auf dem oberen Photo erkennen kann). Der Abstand zwischen dem Ort des Wasser-Austritts aus den Schläuchen und dem Ort des Auftreffens der Flüssigkeit auf dem Gebäude war recht groß. Mit zunehmendem Abstand zerstieb das Wasser desto mehr, verteilte und verwandelte sich in einen pulverisierten Regen. Zwar wütete das Feuer im oberen Bereich, man konnte also im fast rechten Winkel von unten nicht gut die Flammen bekämpfen, dennoch hätte man den Brand von ausgefahrenen Leitern in den Griff bekommen können. Später spekulierten einige, der Gwanak – ein Berg im Süden Sôuls – habe durch unheilvolle Energien den Brand verschärft.

Sungneymun

So jedenfalls ließen sich die stärksten Brandherde nicht gezielt bekämpfen, diesen Eindruck hatte ich. Dazu kam, dass der Brand zunächst in erster Linie im Innern stattfand; das mit einer wasserabweisenden Lösung bestrichene Dach ließ von oben keine Flüssigkeit durch. Ein gezieltes Bestrahlen wäre also geboten gewesen. Vielleicht war tatsächlich keine effektivere Bekämpfung möglich, doch das Agieren wirkte so, als ob die Feuerwehrleute beim Bekämpfen der Feuersbrunst die Handbremse angezogen hätten. Je länger die Flammen sich in die alte Holzstruktur hineinfraßen, je mehr die dicken grauen und grünen Rauchschwaden entwichen, umso wütender und ohnmächtiger fühlten sich viele, die am Fernseher oder vor Ort dem Geschehen zusahen.

„Größere Schäden treten nicht auf“

Das Fernsehen zeigte auch das Süd-Tor um cirka 21:00 Uhr. Rauch stieg aus dem angeleuchteten Gebäude, zudem vereinzelte Flammen. Zuerst um 20:48 Uhr war der Brand bezeugt. Doch nur zögerlich löschte die Feuerwehr. Es schien so, als ob die Feuerwehrleute auf irgend etwas warteten, oder sogar die Order erhalten hätten, nicht zu löschen. Tatsächlich verschwendeten Regierungsmitarbeiter mehr als ein halbe Stunde mit Überlegungen, ob man das Feuer löschen solle. Erst um 21:35 erhielten die Feuerwehrleute die Erlaubnis, ohne Rücksicht auf eventuelle Schäden, ihre Arbeit zu verrichten. Offenbar waren einige Beamte vollkommen im Unklaren über die sich heran bahnende Gefahr, sie glaubten die Wasserstrahlen könnten das Denkmal beschädigen. Feuerwehrleute meinten sogar zur Presse: „Größere Schäden werden an Namdaemun nicht auftreten, lediglich kleinere Beeinträchtigungen unter dem Dach“, wie am nächsten Tag, am Montag, 11. Februar, in der Korea Times zu lesen war. Als man diese Zeilen allerdings lesen konnte, waren größere Teile Namdaemuns vernichtet.

Der neunundsechzig jährige Chae Jonggi gab zu, den Brand gelegt zu haben. Er fiel bereits in der Vergangenheit durch eine andere Brandstiftung an einem koreanischen Denkmal auf. Eine Firma, die in den Jahren 1997 und 1998 auf seinem Grund ein Bauvorhaben durchführte, habe ihn mit einer zu geringen Geldsumme für sein Haus entschädigt, sagte er. Chae reichte daraufhin verschiedene Beschwerden bei der Regierung ein, diese habe jedoch alle seine Forderungen ignoriert. Präsident Roh sei für den Brand verantwortlich.

Am Montag machte ich einige Photos der verbrannten Überreste von Koreas Wahrzeichen, das mit lediglich etwa 100 000 Dollar gegen Brand versichert war. Vor dem Gebäude standen nun Wachen, leider zu spät. Es gab keine Sprinkleranlagen im Gebäude, aber acht Feuerlöscher. Sie erwiesen sich allerdings als nutzlos, weil zum Zeitpunkt des Brandes niemand von ihnen schnell und gezielt Gebrauch machte.

Der vernachlässigte Nationalschatz

In den Tagen nach der Brandkatastrophe gab es heftige Diskussionen, Schuldzuweisungen und polizeiliche Aktionen. Warum war Koreas Nationalschatz Nr. 1 nur so dürftig geschützt? Warum reagierten die Feuerwehrleute, die Behörden und die Sicherheitsfirma KT-Telekop, die für die Bewachung des Gebäudes verantwortlich war, nicht schneller, koordinierter und effektiver? Der Chef des Amtes für das kulturelle Erbe Koreas, Yoo Hongjoon, bot seinen Rücktritt an. Einige warfen ihm vor, dass er zum Zeitpunkt des Brandes einen Übersee-Reise gemacht habe. Lee Myungbak, der gewählte Präsident, schlug einen öffentlichen Fond vor, in dem alle für die Wiederherstellung des Denkmals einzahlen können. (Vielleicht hat er an das Verfahren zur Restauration der Dresdner Frauen Kirche gedacht.) Die Regierungspartei kritisierte diesen Vorschlag allerdings als beschämende Kostenumwälzung auf die Bevölkerung. Die Polizeii des Namdaemun-Bezirkes durchkämmte Räume der privaten Sicherheitsfirma KT-Telecop, deren Mitarbeiter später als die Feuerwehrleute das brennende Wahrzeichen erreichten. In der Presse war auch zu lesen, dass in den letzten Jahren Obdachlose gerne im Gebäude übernachteten und sich gelegentlich eine Holzscheite aus den alten Balken herausschnitten – für ein Feuerchen in kalten Winternächten. Die Restauration des Tores wird etwa drei Jahre dauern und kostet voraussichtlich 20 Milliarden Won (ca 14. Millionen Euro), sagte Kim Sang-gu, ein Mitglied der Regierung.


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