Das neue Jahr nach dem gregorianischen Kalender hat auch in Korea Einzug gehalten. Die Koreaner haben gestern und heute ausgiebig den Übergang gefeiert. Im Unterschied zu einigen westlichen Ländern scheinen sie es, in Seoul / Myong-Dong versammelt, mit dem Anzünden von Feuerwerkskörpern nicht so genau zu nehmen: Gerne zündet man auch schon um 23:00 Uhr Kracher und Raketen, so dass der optische Unterschied zwischen altem und neuem Jahr wohl kleiner ausfällt als in anderen Ländern.
Das alte Jahr war für die Koreaner ein Jahr der „Täuschung“ – wie die Korea-Times schreibt. Die Zeitung hatte 340 Professoren und wissenschaftliche Kolumnisten gefragt, wie sich das Jahr 2007 charakterisieren lasse. 43 wählten das chinesische Zeichen „jagigiin“, was so viel heißt wie „sich selbst und andere täuschen“. Tatsächlich sind einige Scharlatane aufgeflogen.
So gaben sich in dem bildungsbeflissenen Land verschiedene Personen als Wissenschaftler aus, waren aber in Wirklichkeit keine. Die frühere Kunstprofessorin Shin Jông-ah der Dongguk-Universität erhielt ihre Stelle durch Protektion, insbesondere durch ihren etwa 15 Jahre älteren Freund („suggardaddy“), den früheren Präsidentensekretär Byôn Yang-kyun. Er vermittelte ihr, die vorgab in Yale promoviert zu haben, auch andere Posten. Ebenso flogen einige andere Wissenschaftler, Schauspieler und Künstler auf, leider auch ein Mönch der buddhistischen Universität, der nicht promoviert hatte, aber trotzdem lehrte.
Opfer einer Rufmordkampagne oder Krimineller?
Auch der nun zum Präsidenten gewählte Lee Myungbak nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau. Vor einigen Wochen hatte er noch felsenfest behauptet, er habe mit der Vermögensverwaltungsgesellschaft BBK nichts zu tun. Diese hatte 5200 kleinere Anleger um Millionensummen betrogen. Tatsächlich schien eine abgeschmetterte Anklage ihm recht zu geben. Koreanische Staatsanwälte hatten am Mittwoch, 5. Dezember, die gegen Lee erhobenen Vorwürfe entkräftet. Die Mehrheit der Koreaner glaubte aber nicht dem Urteil der Staatsanwälte. Die Oppositionspartei wollte ein Amtsenthebungsverfahren gegen die Staatsanwälte anstrengen. Bekannt war, dass Lee ebenso bei anderen Gelegenheiten nicht zimperlich auftrat, so hatte er bei einer Bürgermeisterwahl manipuliert. Viele vermuteten daher, Lee habe die Staatsanwälte eingeschüchtert. Doch kurz vor der Wahl tauchte ein Video auf. Es zeigt Lee, wie er im Oktober 2000 an der Kwangun Universität in Sôul eine Ansprache hält. Dort behauptet er deutlich, die BBK gegründet zu haben.
Präsident Roh hat daher eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Lee angeordnet. Theoretisch könnte er am 25. Februar 2005 nicht die Nachfolge Rohs antreten – sollten sich die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen „öffentlich“ erhärten. Lee hat jedenfalls gedroht, dass diejenigen, die gegen ihn Vorwürfe erhoben haben, Kompensationen leisten müssten, sollten die Anklagepunkte sich nicht bestätigen. Lee Myungbaks Erdrutschsieg, so die Korea-Times in ihrem Leitartikel der Silvesterausgabe, „zeige den brennenden Wunsch der Koreaner nach wirtschaftlichem Erfolg jenseits irgendeines ethischen Standards“.

Der Wahlsieger Lee Myungbak (I Myong bak)
Photo: Korea Times
Im vergangenen Jahr kam der CEO von Hanwha, Kim Sôungyôn, mit einem blauen Auge davon. Er hatte seine Leibwächter beauftragt, seinen Sohn, der in eine Schlägerei verwickelt war, „zu rächen“, d.h. zu prügeln. Eigentlich sollte er eine 18 monatige Haftstrafe verbüßen, stattdessen muss er nur noch 200 Stunden Sozialarbeit verrichten. Präsident Roh hat derweil am Jahresende eine Dutzend ehemaliger Wirtschaftskapitäne, die wegen Unterschlagung und Bestechung verurteilt sind, Amnestie gewährt. Darunter der Daewoo-Gründer Kim Woo-choong und der Vorsitzende der Motoren- & Konstruktionsfirma Halla.
Im Jahr 2007 kam auch der Vorstandsvorsitzende der Hyundai Motorenwerke, Chung Mong-koo, in die Schlagzeilen. Ursprünglich sollte er eine dreijährige Haftstrafe verbüßen, weil er umgerechnet über 100 Millionen Dollar aus dem Firmenvermögen abgezweigt hatte: für Familienangehörige, Bestechungstöpfe und andere (nicht unmittelbar ökonomische Zwecke). Dennoch sahen die Gerichte später von der Haftstrafe ab. Denn der Autoboss versprach soziale Dienste abzuleisten und etwa eine Milliarde Dollar an soziale Einrichtungen zu spenden.
Viele Skandale um öffentlich einflussreiche Personen scheinen in Süd-Korea nach einem ähnlichen Muster abzulaufen. Die einschlägigen Medien befördern Untaten ans Licht – von denen die alternativen Medien oft längst vorher etwas wussten. Die öffentliche Empörung ist groß, man fordert Haftstrafen, die Firmenchefs oder Politiker stehen am Pranger und geben dort ein bemitleidenswertes Bild ab, Presseleute fassen sie am Ärmel, wie Kriminelle betreten sie Konferenzsäle, die im Blitzlichtgewitter zu explodieren scheinen. Schließlich legt sich die öffentliche Empörung, das mediale Interesse verebbt und die Haftstrafen verwandeln sich in Bewährungsfristen oder in unerhebliche Geldstrafen.
Vielleicht lässt sich ebenso unter „Täuschung“ die Entführung der koreanischen Missionare im Juli subsumieren. Denn die Koreaner hatten sich offenbar selbst getäuscht. Sie gingen fälschlicherweise davon aus, dass sie im kriegsgeschüttelten Afghanistan mit offenen Armen empfangen werden. Eine Enttäuschung brachte die Ölkatastrophe im Oktober. Viele Koreaner sind empört, dass der Samsung-Konzern, dessen Mitarbeiter den Zusammenstoß der Fähre mit dem Öltanker verursachten, nur sehr schleppend sich an den Aufräumarbeiten beteiligt. Auch Lee Myungbak zeigte sich vor den Präsidentenwahlen in Taean, am Ort der Ölkatastrophe, und versprach, dass er und seine Parteikollegen mit anpacken und aufräumen helfen. Seit seiner Wahl zum Präsidenten hat man ihn allerdings nicht mehr in der Katastrophenregion gesehen.
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