Der Gipfel II – Eindrücke, Hintergründe und mögliche Folgen

„Können Sie als Präsident nicht allein entscheiden, ob Sie weiter bleiben?“, fragte Kim Jŏngil Präsident Roh Muhyŏn. Kim hatte Roh am Mittwochmorgen vorgeschlagen, noch bis zum Morgen des folgenden Tages, also bis zum 5. Oktober in P’yŏngyang zu verweilen. Vermutlich wollte Kim die Gespräche noch weiter intensivieren. Dieses Angebot, bemerkte jedoch Roh, müsse er erst mit seinem Stab besprechen. Schließlich winkte Roh aber ab.

Arirang, propagandistisch abgespeckt

Möglicherweise kam deshalb ein verstimmter Kim Jŏngil nicht zu der Arirang Vorstellung am Mittwoch, vielleicht waren es auch Sicherheitsgründe, die seinen Besuch verhinderten. Stattdessen begleitete – von der Staatsspitze – deshalb nur Kim Yanggon die südkoreanische Gesandtschaft zu der volkstümlichen Arirang Großveranstaltung. Kim Yanggon ist der Direktor der vereinigten Hauptabteilung der nordkoreanischen Arbeiter-Partei. Was geschah auf der Arirang Veranstaltung? Mehr als 60000 Personen stellten wie von Zauberhand gelenkt, präzise untereinander abgestimmt, Schriftzeichen, Porträts und Bilder dar. Gewisse staatliche Symbole, wie die nordkoreanische Flagge, hatte man aber vom Programm gestrichen; auch andere Propagandaelemente fehlten. Traditionell zeigt die Show nämlich, wie die Nordkoreaner südkoreanische und amerikanische Streitkräfte bezwingen.


Während der Gipfelgespräche assistierten dem südkoreanischen Staatspräsidenten vier seiner Mitarbeiter: Kwon Okyu, der stellvertrende Ministerpräsident und Minister für Wirtschaft und Finanzen, Vereinigungsminister Li Jaejŏng, Kim Manbok, der Chef des Geheimdienstes und Baek Jongchŏn, Chefsekretär des Präsidenten für die ausländische Polizei und die Sicherheitspolizei. Dagegen war im Verlaufe der Zusammenkunft nur Kim Yanggon neben Kim Jŏngil zu sehen. Möglicherweise hörte dieser aufmerksam zu, gesprochen hat er wenig, dafür redete der „geliebte Führer“ fast immer, wenn die nordkoreanische Seite das Wort hatte.

Einige Diplomaten betrachteten dieses Verfahren als unhöflich und roh. Man könnte dies als mangelnde Aufmerksamkeit sehen, die die Nordkoreaner ihren Gästen entgegenbrachten. Andererseits genießt der „geliebte Führer“ in Nordkorea den Status eines Übermenschen, der alle wichtigen Fragen alleine klären kann, so dass der Diktator vermutlich wie selbstverständlich mit nur einem Assistenten am Gipfel teilnimmt.

Tagesordnungspunkte

Tonbandaufzeichnungen untersagte der nordkoreanische Gastgeber. Die Mitarbeiter von Chŏng Wa Dae (dem „blauen Haus“, das ist der südkoreanische Präsidenten-Palast) durften allerdings einige Photos schießen. Zur Disposition standen eine große Spannweite von Themen. Es ging um das südkoreanische wirtschaftliche Engagement in Nordkorea. Kim Ilsŏng betrachtete aber eine wirtschaftlichen Öffnung seines Landes mit Skepsis bis Ablehnung. Man besprach allgemeine Richtlinien, wie sich Spannungen zwischen den beiden Streitkräften reduzieren lassen. Denn Grenzzwischenfälle gab es in den vergangenen Jahren viele, davon einige mit tödlichem Ausgang. Schließlich ging es um die Etablierung eines Friedenszustandes auf der koreanischen Halbinsel. Die Frau des südkoreanischen Staatspräsidenten, Kwon Yangsuk, besuchte unterdessen das zentrale historische Museum und das Koryŏ-Institut für medizinische Wissenschaften. Das Institut sucht die östliche Medizin weiter zu entwickeln.

Photo: BBC

Gestern war die Atmosphäre aufgelockerter; einen Tag zuvor zeigte sich Kim Jŏngil, den deutsche Ärzte, so heißt es, am Herz operierten, recht reserviert. Offenbar begann er allmählich aufzutauen, als die Südkoreaner dem Filmliebhaber Kim verschiedene Geschenke darboten, darunter DVDs, ausgesuchte Teeblätter aus Südkorea und eine große, aufklappbare Leinwand, auf der Naturszenen abgebildet sind. Mitgebracht hatte der frühere südkoreanische Präsident Kim Daejung auf dem ersten Gipfel im Jahre 2000 ein 60cm breites Fernsehgerät, drei Videorekorder, eine elektronische Orgel und zwei Jindogaes, das sind koreanische Hunde, die als klug und mutig gelten.

Die beiden Hauptbeteiligten des Gipfels bringen unterschiedliche Beweggründe und Zielsetzungen mit. Roh Muhyŏn setzt die Sonnenscheinpolitik seines Amtsvorgängers weiter fort (siehe Blogeintrag vom 1.10.). Ähnlichkeiten hat er mit dem früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder. Wie Schröder stammt er aus eher bescheidenen sozialen Verhältnissen, zwar nicht aus einer Arbeiterfamilie, aber aus einer armen Bauernfamilie, er boxte sich wie Schröder mit viel Energie jenseits der Regelschulen nach oben. Wie Schröder war Roh früher Anwalt. Während dieser in Korea Studenten, die wegen Aufwiegelung angeklagt waren, verteidigte, setzte jener sich in seiner früheren Laufbahn für Staatsfeinde ein. Der eher links-liberale erscheinende Roh peitschte auch – zum Erstaunen der konservativen Opposition – die in vielen Teilen des Volkes ungeliebten Freihandelsvereinbarungen mit den USA durch. Der Sozialdemokrat Schröder stieß dagegen mit seinen Arbeitsmarktreformen so manchen Genossen vor den Kopf.

Kim Jŏngils Credo ist die Songun“ oder „Zuerst-das-Militär-Politik“. Diese schlägt sich in der hohen Militärquote nieder: Der verarmte Norden gibt mehr als ein Viertel seines Bruttosozialproduktes für das Militär aus, während dieser Anteil sich im Süden zwischen drei und vier Prozent bewegt. Da das Bruttonationaleinkommen des Südens aber etwa mittlerweile fünfunddreißig Mal so viel beträgt wie das des Nordens, geben die Süd-Koreaner etwa vier bis fünf Mal soviel Geld für ihre Streitkräfte aus als Nordkorea. Am 2. Oktober 2007 war in der Korea Times sogar zu lesen, dass mittlerweile das ganze Bruttosozialprodukt der Nordkoreaner auf die Größe des südkoreanischen Verteidigungshaushaltes geschrumpft sei (siehe dazu auch: Byung-Nak Song, The Rise of the Korean Economy, New York 2000).

Zudem hat Süd-Korea mit den US-Streitkräften – etwa 27000 US-Soldaten sind im Süden derzeit stationiert – einen starken Verbündeten. Regelmäßig führen die Südkoreaner mit ihren amerikanischen Freunden Manöver durch: im Süden oder in der Nähe der nordkoreanischen Grenze. Auf dem Programm steht dabei auch die Simulation des Einsatzes von Atomwaffen. Diese lassen sich etwa von amerikanischen U-Booten oder Langstreckenbombern abfeuern. Falls noch ein Mal ein Krieg auf der Halbinsel ausbrechen sollte, werden die Nordkoreaner zwar in der Lage sein, mit ihrer Artillerie große Teile Seouls relativ schnell zu zerstören und amerikanische Militärstützpunkte zu beschießen. Den geballten konventionellen und atomaren, mit modernster Technik ausgestatteten Streitkräften im Süden werden sie aber nicht lange Stand halten können. Daher lässt sich – entgegen des gängigen Klischees, wonach nur einer nukleare Ambitionen hat, nämlich ein unkalkulierbarer Diktator, der den Frieden in der Region aufs Spiel setzt – durchaus fragen, wer hier eigentlich wen bedroht.

Kim Jŏngil soll mit vier Frauen zusammen gelebt haben. Über sein Privatleben ist nur wenig Genaues bekannt. Er hat drei Söhne, Jŏngnam, 36, Jongchôl, der vermutlich 26 Jahre alt ist, und Jong wŏn, der wahrscheinlich 23 Jahre alt ist. Jŏngnam enttäuschte seinen Vater, weil er wegen eines gefälschten Passes ins Gefängnis kam. Später schob man ihn nach Japan ab, wo er offenbar sich im Disneyland niederlassen wollte. Er verbrachte seitdem einige Zeit in Macau, der Spielstadt im südlichen China. Nach der Choson Ilbo, einer bekannten koreanischen Tageszeitung, ist er seit August diesen Jahres wieder in Nord-Korea, hat dort einen Parteiposten übernommen und beteiligt sich am Machtkampf. Vermutlich wird Jŏngnam die Führung des Staates von seinem Vater übernehmen. Dieser trat im Jahre 1994 in die Fußstapfen seines Vaters, des „ewigen Präsidenten“ Kim Ilsŏngs.

Gegenwärtig lässt sich schwer abschätzen, welche Folgen der Gipfel haben wird. Die konservative Oppositionspartei begrüßt die Ergebnisse des Gipfels, bemängelt aber zu wenig konkrete Schritte der Denuklearisierung. Nach dem Gipfel im Jahre 2000 blieb die erhoffte Familienzusammenführung im großen Stil aus, nur etwa 2000 Personen sahen sich seitdem pro Jahr, während etwa 100000 Familienangehörige auf eine Zusammenkunft hoffen, darunter auch die Deutsche Renate Hong, die, aus der ehemaligen DDR-kommend, vor 45 Jahren ihren Mann in Nordkorea zurücklassen musste.

Die Acht-Punkte Verpflichtung-Erklärung des diesjährigen Gipfels verweist jedoch auf viele konkrete zukünftige Schritte.

Die Vertragsparteien verpflichten sich

  • die Punkte der gemeinsamen Gipfel-Erklärung vom 15. Juni 2000 aktiv umzustzen,
  • zu einer vom gegenseitigem Respekt getragenen Zusammenarbeit, die die System- und Ideologiedifferenzen überwinden helfen soll,
  • auf militärischen Gebiet eng zusammen zu arbeiten, mit dem Ziel, militärische Feindschaften zu beenden und Frieden auf der Halbinsel zu schaffen,
  • nach einer gemeinsamen Erklärung zur Beendigung des Koreakrieges zu suchen,
  • die ökonomische Kooperation auszubauen (z.B. Gaesŏng Komplex, siehe Blogeintrag vom 1.10.).
  • gemeinsame kulturelle, technische und touristische Vorhaben durchzuführen
  • den humanitären Austausch zu fördern und für Familienzusammenführungen zu sorgen.
  • gemeinsame Interessen auf internationaler Ebene wahrzunehmen.

Roh hinterlässt seinem Nachfolger, der am Anfang des nächsten Jahres das Ruder übernehmen wird, eine große und teure Aufgabe. Diese erscheint aber lohnender als nicht enden wollende Investitionen in einen katastrophalen Krieg.

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