Verhandeln mit Terroristen?

Die ehemaligen koreanischen Geiseln sind nun frei nach einem etwa sechswöchigen Nervenkrieg, neunzehn trafen gestern in Seoul ein. Kanadas Außenminister Maxim Bernier kommentierte die Entscheidung der koreanischen Regierung, sich mit den Taliban auf dem Verhandlungswege zu treffen, so: „Wir verhandeln nicht mit Terroristen, was der Grund auch sei. Solche Verhandlungen führen nur zu weiteren terroristischen Akten“. Etwas zurückhaltender, aber grundsätzlich ähnlich, äußerte sich auch die deutsche Bundeskanzlerin.

Japans Zeitung Ashashi Shinbun geht davon aus, dass ein Lösegeld von 2 Millionen Dollar an die Taliban floss, dabei unidentifizierte afghanische Offizielle zitierend. Dagegen behauptet Al Jazeera, die südkoreanische Regierung habe 40 Millionen Dollar an die Taliban gezahlt. Diese streitet indes jede Lösegeldzahlung ab. Cheon Ho Seon, ein Sprecher des Präsidenten, weist eine solche Behauptung vehement zurück. Fest steht dagegen, dass die Behörden die Missionare vor ihrer Reise nur unvollständig informierten, dass diese sich aber auch grob fahrlässig verhielten, ihren Auftrag auszuführen in Afghanistan, in einer gefährlichen und vom Kriege gezeichneten Region. Mittlerweile haben sich einige der ehemaligen Geiseln öffentlich entschuldigt, ihre Kirche will Transport- und Behandlungskosten übernehmen.

Ende eines Geiseldramas

Grundsätzlich ist es richtig, dass Gewalttäter Zugeständnisse oder ein Nachgeben als (teilweisen) Erfolg betrachten. Im Sinne des Modelllernens kann ein solches Nachgeben weitere Entführungen anregen. Im Mai dieses Jahres zahlte die italienische Regierung den afghanischen Entführern des Journalisten Daniele Mastrogiacomo ein hohes Lösegeld. Dies mag die Taliban motiviert haben, koreanische Missionare gefangen zu nehmen. Mittlerweile erscheinen Entführungen deshalb in einigen Teilen der Welt als ein lukratives Geschäft, etwa im Irak, in Mexiko-Stadt oder auf den Philippinen. Die Gruppe Abu Sajaf verschleppte dort u.a. die deutsche Familie Wallert im Jahre 2000.

Doch wie hätte eine Alternative zu den Verhandlungen ausgesehen? Auch im Jahre 2000 schaltete sich die deutsche Regierung ein. Das Lösegeld kam allerdings damals, so hieß es, von Libyen. Nun wurde Pastor Bae Hyŏngkyu das Opfer der Geiselnahme in Afghanistan, am 25. Juli lag seine Leiche auf einer Landstraße. Am 31. Juli ermordeten die Entführer den „christlichen Aufbauhelfer“ Sung-min. Hätte die koreanische Regierung untätig warten sollen?

In den koreanischen Nachrichten war der Entführungsfall wochenlang das wichtigste Thema. Der Geheimdienstchef, Kim Manbok, reiste nach Kabul und gab in aller Öffentlichkeit bekannt, welchen wichtigen Beitrag seine Organisation zur Lösung des Geiseldramas geleistet habe. Auch der medial erzeugte Druck zwang die südkoreanische Regierung offenbar zu einem schnellen Verhandlungserfolg. Dabei zog sie es zunächst kaum in Erwägung, andere Regierungen in der Region in die Verhandlungen mit einzubeziehen. Eine bewusste Zurückhaltung der Medien, weniger Schaulaufen der Verantwortlichen und eine stärkere Beteiligung der Anreinerstaaten wäre einer umsichtigeren Lösung des Geiseldramas dienlicher gewesen.

Verhandeln, aber wie?

Die Vorgehensweise der koreanischen Regierung war dennoch klug, weil sie es ablehnte, vermeintliche Stärke zu zeigen und „nicht mit Terroristen zu verhandeln“. Die eingangs zitierte Position des kanadischen Außenministers spiegelt die Meinung der Regierungen wieder, die Truppen in Afghanistan stationiert haben. Deutschland – gefolgt von Kanada – stellt mit 3550 Soldaten, neben den USA und Großbritannien, das drittgrößte Kontingent. Etwa 200 koreanische Soldaten sind noch in Afghanistan stationiert. Sie werden bis Ende dieses Jahres das Land verlassen.

Aber welche Legitimationsgrundlage rechtfertigt die Stationierung und den Kampfeinsatz von ausländischen Soldaten in Afghanistan? Am 7. Oktober 2001 griffen US-Streitkräfte Afghanistan an, eines der ärmsten Länder der Welt, mit der fadenscheinigen Begründung, sich selbst zu verteidigen, dort Terroristen zu jagen. Beweise, dass die Drahtzieher der Anschläge des 11. September 2001 in Afghanistan sitzen, blieben die Alliierten allerdings schuldig. Verhandlungen mit den Taliban lehnten sie ab. Leider bezeugte auch Deutschland „unbedingte Solidarität“, und auch deutsche Zeitungen verbrei(te)ten unkritisch die Ungereimtheiten und Lügen des „Krieges gegen den Terror“.

In Wirklichkeit geht es den westlichen Mächten, die in Afghanistan stationiert sind, darum, in Afghanistan strategisch wichtige Einflusszonen sicher zu stellen (Afghanistan grenzt an den Iran, an China, an Pakistan und an Staaten der ehemaligen Sowjetunion). Ein Bestandteil dieser Vorgehensweise ist eine afghanische Regierung, die sich westlichen wirtschaftlichen und militärischen Interessen beugt. Nützlich ist dabei sicher ein Regierungschef wie Hamid Karzai, der früher auch als Berater des Ölmultis Unocal auftrat. Die bestehenden und in Bau befindlichen Öl- und Gaspipelines in Afghanistan erstrecken sich vom Kaspischen Meer über Turkmenistan, Afghanistan und Pakistan. Die Schutztruppen sollen helfen, solche wirtschaftlich und strategisch wichtigen Gebiete gegen „Terroristen“ und unerwünschte russische Einflussnahme zu sichern.

Was haben die Koalitionstruppen in Afghanistan zu suchen?

Politiker und Medien erwähnen die – infolge des Krieges in Afghanistan – getöteten Zivilisten oft nur beiläufig, ein Entführungsfall erscheint politisch folgenreicher und spannender für das Medienpublikum zu sein. Wer spricht etwa noch von den 65 Zivilisten, die im Bezirk Gereschk im Juni Angriffen der Koalitionstruppen zum Opfer fielen? Viele Politiker und Medienvertreter titulieren Personen in Afghanistan oder im Irak, die sich gewaltsam gegen die Besatzungstruppen zur Wehr setzen, als „insurgents“ oder „Terroristen“. Die Begriffe „Aufständische“ und „Terroristen“ haben eine kriminelle Komponente. Damit sind in Wirklichkeit häufig nur diejenigen gemeint, die sich nicht dem Machtanspruch starker Staaten oder Organisationen beugen wollen. Kriminell ist aber ein fadenscheinig begründeter und teilweise rücksichtslos durchgeführter Angriffskrieg (Flächenbombardement, Streubomben, Einsatz von abgereichertem Uran) gegen einen unterentwickelten und souveränen Staat.

Mit der Übernahme des Oberbefehls der ISAF-Truppen durch den amerikanischen General  Dan McNeill, ehemals Kommandierender General des XVIII. US-Luftlandekorps in Fort Bragg, verschärft sich nun wieder dieser Krieg: Weniger Wiederaufbau, weniger Bodentruppen, dafür mehr Bomben. Sein Vorgänger, der britische Generalleutnant David Richards, hatte sich dagegen stärker für den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die Verständigung mit den Einheimischen eingesetzt. Für die US-Amerikaner und für Hamid Karzai war er aber zu weich.

Zwar leisten die Deutschen und andere Staaten Aufbauhilfe, die mittlerweile auch viele Afghanis begrüßen. Aber damit lässt sich nicht ihr Einsatz rechtfertigen in einer äußerst zweifelhaft begründeten Operation, der nach Schätzungen von Jonathan Steel bisher zwischen 20000 und 49000 Zivilisten zum Opfer fielen, davon alleine über 3000 während der US-Bombenkampagne zu Beginn des Krieges (7.10.-10.12.2001), wie Prof. Marc W. Herold von der University of New Hampshire angibt.


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