Jeder hat seinen eigenen Geschmack, darüber lässt sich nicht disputieren … aber doch streiten? Ist vergiftete Luft eine Geschmacksfrage?
Im Frühling mag ich den Geruch der jungen Pflanzen und Blüten, die verheißungsvoll ein neues Jahr ankündigen. Im Sommer verbreiten die vielen Blumen – wie die koreanischen Frauen – einen angenehmen Duft; sie blühen im Seoul Grandpark, an verschiedenen Stellen in Gwacheon und in anderen Stadtteilen Seouls. Der Normalfall in öffentlichen Verkehrsmitteln ist die Geruchsneutralität.
Höflich sitzen bleiben?
Dennoch heben sich einige Gerüche in Korea unangenehm von den anderen ab, jedenfalls für mein Empfinden. Da sitze ich neben einem angeregt plaudernden, etwas verlotterten älteren Herrn in der U-Bahn. Von ihm geht ein lähmender Knoblauchgeruch aus. Ich weiß nicht: Soll ich mich auf einen anderen Platz setzen – das könnte unhöflich erscheinen – oder soll ich weiter hier verweilen, stoisch leidend. Schließlich gäbe es noch die Möglichkeit, sich auf die eigene Atmung zu konzentrieren und sich einzureden, der Geruch sei ja nur Einbildung, alles habe keine inhärente Substanz, sei nicht wirklich, so wie es Zen-Buddhisten praktizieren.
Vor einigen Wochen sitze ich mit einer mir bekannten Englisch-Lehrerin in einem Bus in Dongtan-Sindosi. Jemand im Trainingsanzug steigt ein, Plastik-Tüten in der Hand. Obwohl er sich mehrere Reihen hinter uns setzt, zieht der Gestank eines mehrere Wochen nicht gewaschenen Körpers doch schnell zu uns hin. Die Leute, die neben dem Ekel erregenden Zeitgenossen sitzen, scheint dies nicht weiter zu stören. Einer unterhält sich sogar noch angeregt mit ihm. Meine Nachbarin meint jedenfalls: „I’m dying“. Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung sehen wir ihn dann nach einigen Stationen aus dem Bus aussteigen.
An vielen Stellen in (der Nähe von) Gebäuden oder öffentlichen Verkehrsmitteln lässt sich eine Art Essig-Geruch wahrnehmen. Offenbar benutzt man gerne Essigreiniger, um alles Mögliche zu säubern, etwa U-Bahn Toiletten, Wände oder Böden. Tatsächlich sind die Gebäude und Toiletten meistens recht gepflegt, und man muss dennoch keinen Obolus entrichten, wie dies in Deutschland mittlerweile üblich geworden ist.
Rauchschwaden und Aas
Am vergangenen Samstag spazierten einige Schüler und Lehrende der koreanischen Sprache durch Itaewon, der Hochburg der Ausländer in Seoul, oder besser gesagt, der Amerikaner. Die Kneipen hier waren rauchgeschwängert, wenigstens jene, deren Publikum überwiegend aus Ausländern bestand. Wir kamen später an einem älteren Herrn vorbei, der ungerührt auf einer Bank am Straßenrand saß, in seiner Nähe lag deutlich der Aasgeruch eines toten Tieres in der Luft.
Einen Tag später gingen wir ins Kino nach Pyong Tschon. Auf dem Programm stand „Ocean’s Thirteen“ mit George Clooney, Brad Pitt, Al Pacino u.a. Was mir gut an dem Film gefällt: Es fällt kein Schuss, die Akteure wenden keine physische Gewalt an – soweit ich mich erinnern kann. Es ist eben eine Gängsterkomödie. Verschiedene Handlungsstränge laufen ineinander, was die ganze Sache etwas kompliziert macht. 80 % des Films besteht aus Vorbereitung, bis die Ganoven dann ihren großen Coup landen können zu Lasten des dekadenten, geldgierigen Hotelbesitzers, Willy Banks, gespielt von Al Pacino.
Aber: Neben uns saß eine schlankbeinige, recht attraktive junge Frau, die genüsslich und langsam Tintenfischstücke aus ihrer Tüte fingerte. Dies ist im Kino verboten. Dennoch konnte sie – und auch einige andere – nicht davon ablassen. Der beißende Tintenfischgeruch machte sich überall bemerkbar, der Kinospaß – sofern dieser Film wirklich Spaß machte – war nun fast dahin.
Die Ausdünstungen der Speisen sind ein Kapitel für sich. Knoblauchgeruch dominiert die Luft einiger Straßen (Kürzlich meinte der türkische Staatspräsident, der in Korea verweilte, Koreaner und Türken seien Brüder.) Die Schalen und Plastikschüsseln, die stark knoblauchhaltige Speisen enthielten, müssen daher mehrmals gewaschen werden. Über die Geruchsnuancen verschiedener Speisen, etwa der Fische und Muscheln, die im Sommer von Einzelpersonen auf offener Straße jenseits der Märkte verkauft werden, ließe sich einiges sagen. Doch nur ein kurzer Hinweis auf eine Zutat: Dönchang, zu deutsch, Sojapaste, riecht, ohne Scherz, genauso wie Schweißfüße. Es schmecke aber nun ein Mal, deshalb sei der Geruch hinnehmbar, versichert man mir.
Frische Luft aus der Baugrube
Der Dieselgestank im Straßenverkehr und an den Baustellen lähmt die Initiative und zerstört so manches Leben. Vor einiger Zeit sah ich drei Lastwagen hintereinander stehen in der Nähe des Hilton Hotels an einer Baustelle, auf irgendetwas wartend. Die Motoren aller Fahrzeuge liefen im Leerlauf auf Hochtouren und verpesteten die Luft um die Baustelle. Dasselbe Spiel in der Nähe des Gyongbokgung-Palastes. Eine Kolonne von Polizeibussen steht fein säuberlich hintereinander – mit laufendem Motor. Warum eigentlich?
Wenn Bauarbeiter Pause machen, lassen sie auch gerne ihre Fahrzeuge mit laufendem Motor stehen. Das, was eine Raupe oder ein Kran an Schadstoffen produziert, übertrifft die Emissionsmenge eines gewöhnlichen Personenwagens um ein Vielfaches. In einigen Bezirken in Korea herrscht Bauwut, wie in der Reißbrettstadt Dongtan. Baut man in europäischen Staaten an einem Stück ein ganzes Haus oder einen Gebäudekomplex, ziehen die Bauarbeiter in Korea oder China – wie in Lishu 1) – auf einen Schlag ganze Städte hoch.
Sind die oben genannten Baufahrzeuge im Einsatz, und liegt die Baustelle neben einem bewohnten Haus, haben die Bewohner in den oberen Stockwerken dann das Nachsehen, ihnen weht die „frische“ Luft um die Ohren, und das Lachen bleibt ihnen dann im Halse stecken. Einige Hausbewohner ziehen es dennoch vor, im Sommer die Fenster der oberen Stockwerke zu öffnen, so dass wenigstens die Luftzirkulation in die Gänge kommt, wenn auch mit schmutziger Luft; sie wollen jedenfalls weniger gerne hinter geschlossenem Fenster schmoren – wenn dies auch schadstoffärmer ist. Viele Seouler wissen nicht, was gute Luft ist, sie haben vielleicht in ihrem Leben nie frische Luft geatmet.
1) Peter Hessler & Mark Leong: China’s instant cities. National Geographic. June 2007. p 88 – 115
Eine Toilette wie sie in vielen U-Bahn-Stationen in Seoul zu sehen ist
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