Musik in Korea und Aspekte koreanischer Musik

Koreaner sind musikalisch. Sie pflegen ihr reichhaltiges Liedgut oder spielen gerne auf ihren traditionellen Instrumenten: oft mit einem gewissen Stolz – und mit viel Energie. Sie pilgern zu Musikkonzerten mit klassischer westlicher Musik, tummeln sich in verrauchten Jazz-Clubs in Seouls Innenstadt oder vergnügen sich, häufig am Feierabend in den späten Abendstunden, in Noräbangs, in Karaoke-Bars.

In Korea gibt es Musiker, die in den unterschiedlichsten Stilen zu Hause sind. Zu den international anerkannten Interpreten klassischer Musik gehören, um nur einige zu nennen, der Pianist Paik Kun Woo, der Dirigent Chong Myong-hun, die Violinistin Chung Kyung-hwa oder die junge Cellistin Chang Han-na, die nun auch als Dirigentin auf sich aufmerksam machen möchte.

In den Noräbangs kann man seine Sangeskunst unter Beweis stellen. Das Singen begleitet dort eine Musik, die der Originalmusik, abzüglich der aus ihr herausgefilterten Stimmspur, recht nahe kommt. Auch die rhythmischen Klänge der in den Noräbangs ausliegenden Schlagtrommeln und Rasseln gehören zur Begleitmusik. Zum gemütlichen Beisammensein im „Liedzimmer“ darf der Soju, der koreanische Wodka, nicht fehlen. Je später der Abend, desto reicher fließt der Schnaps.

Singen aus Verzweiflung?

Einmal habe ich mitgesungen. Wir haben einen Ausflug mit den Leuten unseres Koreanisch Kurses von der Sookmyung Frauen Universität gemacht. Mitgefahren sind etwa ein dutzend Kursteilnehmer und ebenso viele Studentinnen der Universität. Wir fuhren am ersten Mai-Wochenende in diesem Jahr nach Yang-pyung, zu einem etwa zwei Zugstunden entfernt gelegenen, in freier Natur liegenden, größeren Freizeit-Haus. Ein Musikautomat zum Karaoke-Singen war im Samstagabend-Programm inbegriffen.
In den siebziger und achtziger Jahren benutzten wir noch Gitarren zur Lied-Begleitung, und die Gitarristen verfügten in dieser Zeit über ein erstaunliches Repertoire. Nun hat also der Karaoke-Automat der Gitarre und dem Gedächtnis den Rang abgelaufen. Man wird halt älter, und die heutige Generation ist wohl anders gestimmt. Erstaunlich, über welches musikalische Erinnerungsvermögen viele Koreaner dennoch verfügen. Obwohl die Liedtexte beim Karaoke-Singen eingeblendet werden, muss man doch – neben einer guten Stimme – Melodie-, Dynamik und Rhythmik-Kenntnisse mitbringen, will man die Lieder richtig rüberbringen. Dass dies recht schwer ist, stellte ich fest beim Singen von Led Zeppelins „Rock and Roll“ und spätestens bei „Michelle“ von den Beatles.

Das stimmige Singen bereitete dagegen den Koreanerinnen keine Schwierigkeiten: Die Studentinnen aus dem Land der Halbleiter-Chips synchronisierten ihre Stimmen zu den eingeblendeten Texten des Karaoke-Automaten. Der elektronische Leierkasten begleitete leider nur koreanische Lieder und einige englische Stücke, deutsche oder französische Texte fehlten ganz. Die Koreaner sangen schließlich an diesem Wochenende in erster Linie ihre koreanischen Stücke, wenige englische Lieder. In Deutschland halten es junge Leute in bestimmten Kreisen wohl umgekehrt: Man singt englischsprachige Pop- und Rockstücke und hält sich bei den deutschen Liedern zurück, geraten diese oft in den Verdacht des Biederen, Bürgerlichen. Leider haben viele Deutsche immer noch nicht Stücke von Hannes Wader, Reinhard Mey, Ougenweide oder BAP gehört.

Über die Gründe der Sangeswut der Koreaner ließe sich hier trefflich streiten. Vielleicht treibt sie die reine Lebenslust in die Noräbangs, vielleicht ist es Übermut oder Verzweiflung oder einfach nur in langen und beschwerlichen Bürostunden angesammelter Frust, der sich hier Bahn bricht.

Die ausgewanderten Klassiker

Vor etwa einem Jahr besuchte ich das Gemeinde-Fest der deutschen Gemeinde in Seoul. Eingeladen war auch eine kleine Gruppe koreanischer Sängerinnen und Sänger, die Schubert Lieder zum Besten gab. Der Leiter der deutschen Schule hörte erstaunt zu; viele Deutsche konnten offenbar gar nicht verstehen, was hier vorgeht, verbinden einige mit der „Winterreise“ doch eher einen Ski-Ausflug nach Garmisch-Partenkirchen als einen Schubertschen Liederzyklus. Ich war wirklich überrascht, wie klar, akzentuiert und harmonisch diese A-capella Truppe sang. In Deutschland gibt’s zu Gemeindefesten leider oft nur vom Reißbrett produzierte, basslastige Popmusik, Schlager oder volkstümliche Blasmusik.Die Grenzen zwischen den verschiedenen Genres verlaufen in Deutschland klarer.

In koreanische Filme fließt oft – wie selbstverständlich – klassische Musik. So hörte ich vor kurzem in einem koreanischen Drama J.S. Bachs Air aus der Orchestersuite Nr. 3. Im vergangenen Jahr lief die Serie „La vie en rose“ in Korea über die Mattscheiben. Die Hauptperson, eine Hausfrau in den Dreißigern lebte mit ihrem fremdgehenden Mann und ihrem Sohn zusammen: Ihr Hausarzt, über wenig Empathie verfügend, ihr wenig Hoffnung machend, präsentierte ihr eines Tages die Diagnose Magenkrebs. Dann begann der stetige, sich über mehrere Filme hinziehende Verfall, ihre Leidenszeit: eine schleichende Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes, Konflikte mit ihrer Schwiegermutter und ihrem Mann, der sich in seiner Freiheit eingeengt sehend ständig zur Geliebten begibt. Zu den vielfältigen körperlichen und seelischen Beschwerden, die der Film mit aller Deutlichkeit zeigte, passte auch die Musik, zu der insbesondere dramatische Arien aus italienischen Opern gehörten. In Deutschland muss dagegen meistens etwas Neues her, man zieht es vor, Filme mit eigens komponierter Musik zu unterlegen, auch wenn sie fade ist, anstatt das bereits früher, oft sehr viel passender Ausgedrückte, einfach zu integrieren.

Allgegenwärtiges – aber nicht Geliebtes

Das Spektrum populärer ausländischer, in koreanischen Restaurants oder Cafés zu vernehmender Musik ist klein nach meinen Beobachtungen. Klänge aus Amerika dominieren, leider auch in Restaurants, in denen man dies nicht vermuten würde: Italienische Musik habe ich noch in keinem italienischen Restaurant in Korea gehört. Auch in französischen Bäckereien erklingen keine Chansons, sondern amerikanische Songs. Bei einem Chinesen habe ich hier noch nicht gegessen, ich würde mich nicht wundern, auch dort auf Frank Sinatra, Dean Martin oder Stevie Wonder zu treffen. Obwohl in Restaurants oftmals amerikanische oder englische Musik abgespielt wird, bedeutet dies nicht unbedingt, dass die Koreaner diese Musik lieben. Vielleicht passen die angelsächsischen Klänge einfach zum Interieur des Landes, so wie zum Café bequeme Sessel gehören. In Korea hatte und hat die angelsächsische Musik nach meinen Beobachtungen nie den überragenden Stellenwert in der Pop-Kultur wie in Mitteleuropa. Koreanische Pop- und Rockgruppen singen Koreanisch und nicht Englisch, der durchschnittliche Koreaner braucht die Muttersprache für sein musikalisches Katharsis-Erlebnis, er identifiziert sich mit koreanisch gesungener Musik und nicht mit ausländischen Importen, auch wenn die Vorbilder einiger koreanischer Interpreten nicht aus Korea kommen. So stand bei den – in koreanisch gesungenen – Liedern von Han Taesu mit Sicherheit Bob Dylan Pate.

Von Kindesbeinen an

Baß Youn Kwang-chul und Katharina Wagner, Bild: Korea Times 16.4.2007

Kinder lernen in Korea meistens ein Instrument: Herkömmlicherweise spielen Jungen Geige und Mädchen nehmen Klavierunterricht. Von diesem „Idealtyp“ gibt es mittlerweile Abweichungen: etwa das Mädchen, das Gitarre lernt oder der Junge, der sich am Schlagzeug oder der Flöte versucht.

Vor kurzem überraschte mich ein etwa 11 jähriger Schüler. Er pfiff auf seiner Flöte die ersten Takte der Johann Sebastian Bach zugeschriebenen Toccata und Fuge in d-moll (BWV 565). Zum Standardrepertoire vieler Kinder um die 14 Jahre gehört der erste Satz von Beethovens Mondscheinsonate (Nr. 14 cis-moll Op. 27 Nr. 2) oder die Träumerei von Schumann (aus Kinderszenen Op. 15), daneben spielen sie viele andere Stücke von J. S. Bach, L. van Beethoven, W. A. Mozart, F. Schubert und R. Schumann.

Einen festen Platz in der koreanischen Kultur haben auch die Werke von Johannes Brahms, dessen Musik das Seoul Philharmonic Orchestra in diesem Jahr besondere Beachtung schenkt durch mehrere Kammermusik- und Sinfoniekonzerte.

Auch die bekannten italienischen Opernkomponisten, sowie Antonin Dvorak, Richard Wagner und Gustav Mahler gehören zur Musikszene. Die Urenkelin Richard Wagners, Katharina, will in Seoul im Jahre 2008 den Parsifal inszenieren.

Dimitri Schostakowitsch, der moderne Klassiker und Avantgardist aus Russland, hat ebenso Anhänger in Korea; im März 2006 war ich bei der Aufführung seiner 1. Sinfonie in der ChungMu Art Hall zugegen.

Halbe und ganze Schritte auf dem Weg zur musikalischen Moderne

Für Konfuzius gehörte das Musizieren zur Kultur, zur Veredelung der Sinne; es stellte für ihn einen Bereich des Selbstzweckes dar, jenseits des gesellschaftlichen Funktionieren-Müssens. Diese Auffassung bewegte auch König Sejong (1397 – 1450), einer der wichtigsten Gestalten in der koreanischen Geschichte, die zu seiner Zeit gespielte Musik zu vervollkommnen und zu verbreiten.

Ich kenne mich nicht gut mit der traditionellen koreanischen Musik aus. Zwar habe ich einige Pansori gehört, das sind lange epische Gesänge einer Person, häufig begleitet von Schlaginstrumenten. Auch spielte ich unter Anleitung auf verschiedenen koreanischen Schlag-Instrumenten. Man müsse mit aller Kraft auf die Fasstrommel, genannt Puk, schlagen, sagte mir die Frau, die mich unterwies. Dennoch vermag ich nicht zu sagen, wie die dort gespielten Rhythmen nach abendländischen Takt- und Rhythmusvorstellungen zu klassifizieren sind. Offenbar bereitete die Bestimmung des Rhythmusses auch in früheren Zeiten gewisse Schwierigkeiten. Das gegen Ende des 9. Jahrhunderts auch in Korea verwendete Neumen-System zur Darstellung der Noten konnte zwar die Tonhöhen und –längen relativ genau abbilden, dennoch war es weniger geeignet, die exakten Notenlängen und Rhythmen eines Musikstückes festzuhalten. Auch das im 12. Jahrhundert entstandene Changganbo System verfügte nicht über die Darstellungsmöglichkeiten des heute gebräuchlichen, im Westen entstandenen fünflinigen Notensystems. In der traditionellen koreanischen Musik fehlte die Tonalität, so wie der Westen sie kennt. Die westliche Tonalität beruht einerseits auf den Dur- und Moll-Dreiklängen und andererseits auf verschiedenen zusätzlichen Akkorden, die sich nicht aus den Terzenabständen herleiten lassen, da sie auch ungewöhnliche Intervalle (wie die Septime) integrieren.

Pansori

Pansori, Darbietung am 21.4.07,
Jeonggwanheon im Deoksugung Palast

Auf dem Klavier lassen sich diese Intervalle und Akkorde ohne Probleme wieder geben. Die in diesen Sinne fehlende Tonalität mag der Grund für das späte Entstehen von Klaviermanufakturen in Korea sein. Erst 1960 baute die Samick Musical Instruments Co. Ltd. die ersten Klaviere in Korea. Max Weber datierte den Beginn der in breite Volksschichten einsickernden tonalen Musikkultur mit der Großproduktion von Klavieren.

Der Dämon Musik

Schade, dass die in den Klöstern lebenden Buddhisten, auch in Korea, für Instrumental-Musik nur recht wenig übrig haben, in ihr oft nur eine Berauschung der Sinne sehen. Dennoch singen sie ihre Lieder und Sutren meistens sehr gewissenhaft und melodisch im Gegensatz zu manchem japanischen Mönch, der mehr Wert darauf legt, aus dem Bauch heraus zu singen. Singen die Laien in koreanischen buddhistischen Klöstern, schaltet sich oftmals das Klavier ein. Nicht nur im Han Ma Um Zen-Zentrum in Anyang gehören fest einstudierte buddhistische Stücke mit Klavierbegleitung zum Standardrepertoire.

Zu den Abiturprüfungen in Musik durfte früher das deutsche Kunstlied und Schubert an koreanischen Schulen nicht fehlen, habe ich einmal erfahren. Wie es heute damit bestellt ist, weiß ich nicht. Von dem Fehlen der deutschen Texte im Begleitcomputer ausgehend, könnte man meinen, dass heute deutsche Lieder weniger en vogue sind. Dennoch gehören Kunstlieder von Schubert oder von Richard Strauss, so wie sie in der Bibliothek des Goethe-Institutes auf dem Nam-San erhältlich sind, wohl eher zur musikalischen Hochkultur – sie mit mehreren einverleibten Gläsern Soju zu singen wäre wohl Stilbruch.

Buergerhalle Gwacheon
 Bürgerhalle Gwacheon,
 Jahresabschlusskonzert am 28.12.2006


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