Von der Eisenbahn zum Auto
Die wichtigste vieler technischen Vorrichtungen, die es uns erlaube, von einem Ort A nach einem Ort B, an dem es uns auch nicht besser gehe, zu gelangen, sei die Eisenbahn, meinte Ambrose Bierce (1842-1914). Die Eisenbahn galt lange Zeit als der Inbegriff von Mobilität und Schnelligkeit, als ein Vehikel, das Menschen zudem noch recht bequem zu einem entfernten Ort befördert.
Der Geschmack der Freiheit und der Tod auf Rädern
Heute steht das Auto für Schnelligkeit und individuelle Beweglichkeit. Es ist aber noch viel mehr: Transportmittel, Statussymbol, Beziehungsersatz und vor allem eins: eine Gefahr. Die Erfindung des heutigen benzinangetriebenen Autos in Deutschland war kein Segen für die Menschheit, sie war ein Fluch. Am Auto lässt sich besonders gut das Prinzip der externen Kosten studieren. Jemand setzt sich in seinen Wagen und produziert Schmutz, für den er selbst (zunächst) nichts zu bezahlen braucht: Er macht Krach und bläst Abgase, Gift in die Luft, die besonders in Ballungsgebieten das Leben seiner Mitmenschen belasten. Zudem: Jeder, der mit seinem Auto am Verkehr teilnimmt, geht nicht nur das Risiko ein, dass ein anderer Fahrer ihn schädigt, er stellt auch eine Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer dar: Auch dem souveränsten Fahrer kann ein Missgeschick passieren, darüber hinaus kann er in einen Unfall verwickelt werden und dabei, ohne es unmittelbar zu verursachen, andere Lebewesen schädigen oder töten. Zudem: Die Verkehrsteilnehmer mit der geringsten Knautschzone, also Radfahrer, Fußgänger und Tiere haben das Nachsehen.
In Süd-Korea sterben unter allen OECD-Staaten die meisten Fußgänger auf der Straße. Im Jahre 2004 verunglückten durchschnittlich 6 von 100.000 Fußgängern tödlich, im Jahre 2005 waren es 5,24. Viele Fußgänger fallen schnellen Autofahrern zum Opfer, Fahrern, die die Ampel nicht beachtend über die Straße rasen. Motorradfahrer, so habe ich den Eindruck, starten grundsätzlich als erste – vor den Autos, noch bei roter Ampel. Während die Fußgänger noch bei grüner Ampel über den Zebrastreifen hasten, nutzen die Motorradfahrer die Gunst des Augenblicks für einen Kavalierstart. Aber auch Fußgänger, so ist immer wieder zu beobachten, lassen sich auf riskante Straßenüberquerungen ein. Sie wären besser Stierkämpfer geworden. Zudem: Motorräder ! nutzen gerne die Fußgängerwege und Bürgersteige, einige hupen sogar aufgebracht, wenn ihnen die Fußgänger auf den Bürgersteigen nicht weichen.
Krieg auf den Straßen
Nach Angaben von Oekonews.at jährte sich am 17. August 2006 zum 110. Mal der Todestag von Bridget Driscoll. Sie war der erste Mensch, der als Fußgänger von einem Auto totgefahren wurde. „Auf den Straßen der EU herrscht Krieg“, heißt es auf der Seite von Oekonet. „Jährlich 45.000 tote Zivilisten, darunter Frauen und Kinder. Nur: Dieser Krieg ist nicht in den Medien. Er ist Alltag. Weltweit sterben jährlich 1,2 Millionen Menschen im Verkehr. 20 bis 50 Millionen werden schwer verletzt. In den Industrieländern ist die Zahl rückläufig, in China stieg sie seit 1975 um 250 Prozent. Im Jahre 2005 übertraf nur Ungarn Süd-Korea: In keinem anderen OECD Staat starben dort mehr Personen bezogen auf 10.000 Autos.
Viele Menschen spielen kein Lotto, da sie die Gewinnchancen als zu gering erachten. Sie vermeiden daher den wahrscheinlichen Verlust kleiner Geldbeträge. Dieselben Menschen spielen aber Lotto mit ihrem Leben, wenn sie als Autobesitzer in ihren Wagen einsteigen. Denn sie schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass sie oder andere Verkehrsteilnehmer tödlich verunglücken, als vernachlässigbar klein ein.
Offensiver Auto-Ausstoß, wenig Einfuhren
Die Autos, die über Koreas Straßen fahren, kommen in erster Linie aus koreanischen Autofabriken. Hyundai, weltweit auf Rang sechs der Autoproduzenten liegend, ist der größte koreanische Autohersteller. Korea exportiert offensiv seine Wagen in alle Welt, schottet sich aber gegen seine internationalen Konkurrenten ab. Im Jahre 2005 verkauften nach Angaben von Bruce Stokes, einem amerikanischen Wirtschaftsjournalisten, koreanische Autofirmen 800 000 Autos und kleine Wagen in den USA, während die amerikanischen „Großen Drei“ nur 4000 Wagen in Korea absetzen konnten. Vielleicht ist jedes fünfzigste Auto, das über Koreas Straßen fährt, ein deutscher Wagen. Viele Koreaner mögen viel Blech, große, hohe und lange Wagen.

Diese Wagen erinnern mich dann gelegentlich, von der Form her, an Kühlschränke auf Rädern. Doch etliche Wagen sehen elegant aus. Nicht wenige entsprechen vom Design her dem europäischen Geschmack.
Die Uhr läuft ab für Peking bis zur Olympiade
Wissenschaftler betrachten den mikroskopischen Staub (Staub der kleiner als 10 Mikrometer ist) als die schädlichste Komponente der verschmutzten Luft. Denn er steht im Zusammenhang mit Atembeschwerden, Krebs und anderen tödlichen Erkrankungen. Die Asiatische Entwicklungsbank ermittelte Durchschnittswerte für das Jahr 2005. Nach ihrem Bericht ist die Luftqualität in Peking mit 142 Mikrogramm Staubpartikeln pro Kubikmeter in Asien – und vermutlich auch weltweit – am schlechtesten. Damit ist die Lufverschmutzung in Peking mehr als sieben Mal so hoch wie es die Richtlinie der WHO mit 20 Mikrogramm Staubpartikel pro Kubikmeter vorsieht.
In Seoul lässt die Luftqualität leider auch stark zu wünschen übrig. Sie ist dort (60 Mikrogramm Staubpartikel / Kubikmeter) schmutziger als im Gebiet des Auto-Molochs Los Angeles und mit mehr Schadstoffen belastet als die von Tokyo oder New-York. Für Frankfurt liegen Messwerte von 26 Mikrogramm Staubpartikel / Kubikmeter vor.
Sterben in Asien bald Millionen Menschen frühzeitig an Gas?
Die Luftverschmutzung in Asien hat derzeit etwa 530.000 vorzeitige Tote zur Folge, sagt Michal Krzyzanowski, der bei der Weltgesundheitsorganisation ein Experte für Luftqualität ist. Motorfahrzeuge tragen in Asien zu 30 bis 70 Prozent zur Luftverschmutzung bei. 99% der 1,3 Milliarden Chinesen besitzen kein Auto, nach Angaben von Leilei Liu, einem Programm-Verantwortlichen von Chinas Forschungsinstitut für nachhaltiges städtisches Transportwesen. Kaum auszudenken, wenn in China auf 100 Bewohner 77 Autos kämen, wie in den USA: Das bedeutete wahrscheinlich den vorzeitigen Gastod von jährlich mehreren Millionen Menschen in Asien.
Schon heute wehen jedoch, meistens im Frühjahr, giftige Sandstürme von China nach Korea. Diese Sandstürme erreichen auch andere Gebiete in Asien. Die Chinesen sind mehr daran interessiert, neue Fabriken aus dem Boden zu stampfen und Wälder dafür abzuholzen als ihre Luft rein zu halten.

Ein Sandsturm lässt grüßen
Der Rausch des laufenden Motors
Heute morgen wieder eine typische Szene. Ich gehe gerade zum Stadion und komme an einem Wagen vorbei. Drinnen sitzt niemand, aber der Motor läuft. Ich vermute er läuft mehr als zehn Minuten.
Vor ein paar Tagen: Wir kommen gerade vom Laufen zurück. Da steht jemand im Anzug, Kippe im Mund, neben seiner Blechkiste, deren Motor er vor einigen Minuten angelassen hat. Warum eigentlich? Offenbar will er seine Karren warmlaufen lassen. Aber braucht man das heute bei der ausgereiften Motortechnologie? Offenbar noch ein Relikt aus früheren Zeiten, in denen nur angekurbelte, warmgelaufene Motoren bei Kälte starteten. Oder möchte er sich am Klang des Motors berauschen oder gar den Duft des Benzins inhalieren?
Es stehen, wie gesagt, einige Autos in Gwacheon herum, innen sitzt niemand, doch der Motor läuft. Manchmal möchte der Halter seinen Wagen „warmlaufen“ lassen, gelegentlich ist er oder sie gerade zu einem Schwätzchen ins Nachbarhaus gegangen. Oder: Eltern kaufen „gerade mal“ etwas ein, während sie ihre Kinder im laufenden Wagen zurücklassen. Oder: Eine Familie zieht um. Der Umzug dauert einige Stunden. Dabei steht der Wagen eigentlich nur, und ein oder zwei Mal verlässt er beladen den alten Ort, aber der Motor des Wagens läuft ununterbrochen. Auch Motorräder sehe ich gelegentlich: Sie stehen, der Motor läuft und vom Fahrer ist weit und breit nichts zu sehen.
In Deutschland ist mir dieses Verhalten von Straßenarbeitern oder Bauern bekannt. In Trier gab es einige Weinbauern, die gerne ihre Traktoren unbemannt mit laufendem Motor im Feld stehen ließen. Zugegeben: Die Emissionen, die im Leerlauf entstehen, sind nur ein winziger Bruchteil von denen, die fahrende Kraftfahrzeuge ausstoßen.
Dennoch: Sie verschmutzen unnötigerweise die Luft und ein nachhaltiger Umgang mit der Energie fängt irgendwo an. Menschen, die Energie verschwenden und die Umwelt schädigen, sollten überall die Konsequenzen für ihr Verhalten unmittelbarer tragen. Man kann auf viele Weisen sparen und die Umwelt nicht schädigen. Am besten ist in dieser Hinsicht, kein Auto selbst zu besitzen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
Geschwindigkeit hat Vorrang
Seoul verfügt mittlerweile über ein recht dichtes und entwickeltes U-Bahn Netz. Eine Fahrt mit der U-Bahn ist mit weniger Aufregung verbunden als eine Autofahrt durch den dichten Verkehr dieser Großstadt, sie ermöglicht sogar meistens noch das Lesen und ist preislich wesentlich günstiger als eine Fahrt mit den überteuerten deutschen städtischen U- und S-Bahnen. Zudem sind die Menschen in der U-Bahn meistens freundlich und rücksichtsvoll, auch wenn sie eng gedrängt neben einander stehen. Die Fahrt mit dem Taxi ist bequem und ebenso wesentlich günstiger als eine vergleichbare Fahrt in Deutschland.

In der Nähe von Suyu
Auch der Bus lässt sich gut nutzen. Aber Vorsicht: Busfahrten in Seoul sind nicht bequem, denn es muss vor allem schnell gehen. Ist man ein Mal eingestiegen, geht die Fahrt auch sofort los, und wer sich nicht festhält, fliegt durch den Bus. Einen Bus mit einer hydraulischen Hebevorrichtung, die sich langsam absenkt und auf der sich ein Rollstuhl oder ein Kinderwagen leicht in das Innere schieben lässt, habe ich noch nicht in Seoul gesehen. In einigen (Überland-)Bussen befinden sich Gurte, sie fehlen dagegen in deutschen Bussen.
Warum braucht man eigentlich in einem Auto Gurte, in einem Bus aber nicht? Bei dem rasanten Verhalten ihrer koreanischen Fahrer senken Gurte in Bussen durchaus das Verletzungsrisiko. Vermutlich wären viele Menschen, auch in deutschen Bussen, nicht gestorben, hätten die Fahrgäste einen Gurt benutzt. Dasselbe gilt für den Schienenverkehr. Mir leuchtet nicht ein, warum in Zügen keine Gurte ausliegen und warum im Intercity oder im koreanischen KTX keine Gurtpflicht besteht.
Brauchen wir mehr Autos?
Einige Menschen leben aber, weit weg vom Schuss, entfernt von den Zentren, so mag hier mancher einwenden, sie brauchen daher ein Auto. Dies gelte gerade auch für Korea mit seiner Megazentrale. Nein, in vielen Fällen ist dennoch der Besitz eines eigenen Auto nicht notwendig: Es lassen sich Autos teilen oder Fahrgemeinschaften bilden. Wer aber dennoch glaubt, auf ein Auto angewiesen zu sein, hat immer noch die Möglichkeit seine Fahrten auf das Notwendigste zu beschränken. So entfallen stundenlange Spazierfahrten oder Spritztouren zur fünfhundert Meter entfernt gelegenen Bäckerei, die dazu dienen, ein paar Brötchen zu kaufen.

Unheilsamer und heilsamer Konkurrenzkampf
Derzeit entbrennt ein erbitterter Konkurrenzkampf unter den Autoherstellern. Wer ist der größte Autoproduzent der Welt? Toyota hat die amerikanischen Konzerne überholt. Die Japaner sind stolz darauf. Auch die Koreaner sind ehrgeizig, sie wollen mit Hyundai, dem alljährlich von Streiks erschütterten Konzern, in den nächsten Jahren VW überrunden. Doch diese Kämpfe sind von Nachteil für die Menschheit, wenn es um die höchsten Stückzahlen, Aktienkurse und Renditen geht, und nicht darum, die umweltverträglichsten Wagen zu produzieren.
Heilsamer wäre ein mit großer Entschlossenheit ausgetragener Wettbewerb darüber, wer am ehesten die selbstauferlegten Vorgaben des Kyoto-Protokolls einhält, oder, ganz allgemein formuliert, wessen Treibhausreduktionen bis zu einem Jahr X am höchsten sind. Korea stößt mehr Treibhausgase aus als Italien oder Frankreich. Doch zumindest hat es den Anspruch, seine Emissionen zu verringern. Deshalb gehört es zu den sechs asiatischen Staaten, die zusammen eine Partnerschaft eingingen für eine saubere Entwicklung und eine Klimaverbesserung.
Literaturhinweise
Fuller, Thomas: Asia losing battle against pollution. Bejing tops New Delhi for the uncoveted title of worst air. International Herald Tribune, 16./17.12.2006
Herbermann, Marc: Symbol of Productivity or Dangerous Routine? The Korean Times, 31.3.2007, S. 6 (Zu finden unter: „Archives“ der Korea Times http://www.koreatimes.co.kr/ )
Kwon, Hyuk-joo: Is Korea´s economy at risk from cuts in emissions? JoongAng Daily, 4.12.2006, S. 11
Park Chung A: Accident Rate of Pedestrians Tops Among OECD Countries. The Korea Times, 3.7.2007, S. 2
Stokes, Bruce: US-South Korean FTA. The Korean Times, 11.1.2007, S. 9
Wichtige Internetseiten
http://www.autofrei.de/wb/
http://www.adfc.de/
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